Özgür Politika, 7. August 2001

LeserInnenbrief

Identitätsbekenntnis

Ich wurde 1964 in einem Dorf in Mittelanatolien geboren. Meine Vorfahren waren lange vor meiner Geburt vor hunderten von Jahren dorthin vertrieben worden. Damit niemals wieder jemand vertrieben wird, sage ich: "Auch ich bin PKK!"

Wie alle Kinder bin ich mit sieben Jahren in die Schule gekommen. Aber wir waren anders als die anderen. Die Sprache, die wir zuhause sprachen, war anders als die, die in der Schule gesprochen wurde, und etwas später wurde sie in der Schule verboten. Eines Tages kam unser Lehrer in die Klasse und sagte: "Ihr habt jetzt genug türkisch gelernt, ab jetzt verbiete ich euch, kurdisch zu sprechen." Unsere Muttersprache wurde verboten. Damit niemals wieder jemandem die Muttersprache verboten wird, sage ich: "Auch ich bin PKK!"

Bei uns zuhause wurde "Radio Erivan" gehört. Auch wenn der Empfang schlecht war, waren wir glücklich, wenn wir unsere Lieder hören konnten. Manchmal gab es auch gar keinen Empfang. Und ich habe immer meinen Vater gefragt: "Warum ist Radio Erivan nicht so gut zu empfangen wie die anderen Radiosender?" Damit niemals wieder ein Vater dieser Frage ausgesetzt ist, sage ich: "Auch ich bin PKK!"

Als ich nach Beendigung der Grundschule mit der Mittelschule begann, lernte ich, dass bei jedem Verbrechen, das ich begang, ich neben meiner Eigenschaft als Schuldigem noch eine weitere Eigenschaft besass. So wie in Amerika weisse Mörder einfach "Mörder" und Schwarze dagegen "schwarze Mörder" sind, wurde aus mir nicht nur ein "Schuldiger", sondern ein "kurdischer Schuldiger". Damit meine Nationalität kein weiteres Mal neben der von mir begangenen Schuld als eine Schuld genannt wird, sage ich: "Auch ich bin PKK!"

Später gingen heimlich kurdische Kassetten herum in unseren Dörfern und der Kreisstadt. Meistens waren es Kassetten von Sivan. Irgendwann bekam ich eine Kassette von Aram in die Finger, die mir unheimlich gut gefiel. Als ich die Mittelschule beendet hatte, kamen eines Tages Soldaten in unser Dorf und verkündeten vom Lautsprecher der Moschee: "Jeder der im Besitz von Waffen ist, muss diese bis heute abend abgeben." Dies war das Zeichen für steigende Repression und Unterdrückung. Kurdische Bücher und Kassetten wurden entweder verbrannt oder vergraben. Auch wir handelten danach. Wir vergruben die kurdischen Stimmen, die mich am meisten beeindruckt hatten, Aram, Sivan und die anderen, d.h. unsere eigenen Stimmen in der Erde. Um unsere Stimmen, die wir vergraben haben, wieder hervorzuholen, sage ich: "Auch ich bin PKK!"

In der Zeit, als ich auf das Gymnasium ging, war ich wie ein Blatt, dass der Septembersturm davontrug. Der gleiche Sturm wehte mich an die Universität. Um nicht weiter wie ein Blatt davongeweht zu werden, suchte ich nach einem Ast, um mich festzuhalten. An einem 15. Augustmorgen streckte sich uns ein Ast entgegen, an dem wir uns festhalten konnten. Und ich verstand, dass unser Geist, unsere Seele beschmutzt worden war. (...) Zur Reinigung unseres Geistes und unserer Seelen, sage ich: "Auch ich bin PKK!"

Als ich nach Beendigung der Universität anfangen wollte, zu arbeiten, wurde mir ins Gesicht gesagt, dass ich nicht in einer "gehobenen Position im Staat" arbeiten könne. Der Grund dafür war, dass ich ein paar Jahre lang ein klein wenig an der Reinigung meines Geistes gearbeitet hatte. Meine Arbeitsstelle wurde zum Austragungsort eines Kampfes, in dem ich mich bemühte, meine Seele ein kleines bisschen sauber zu halten. Der Staat jedoch konnte diese Situation auf keinen Fall tolerieren und verlangte eines Tages von mir, meine Seele zu verkaufen. Ich verkaufte nicht. Jetzt bin ich in der Verbannung. Um niemals wieder Bürger eines Staates zu sein, der glaubt, er könne die Seele seiner Bürger kaufen, sage ich: "Auch ich bin PKK!"

An einem späteren Tag stand ein Sänger mit einem grossen Herzen auf und sagte: "Auch ich möchte in meiner Muttersprache Lieder singen, ich habe ein solches Lied gemacht und es gibt in diesem Land Fernsehsender, die dieses Lied spielen können." Als er dies sagte, trat das Inferno ein. Die freundlich und demokratisch gesinnten Freunde um ihn herum verloren plötzlich ihren freundlichen Gesichtsausdruck und wurden zu Wölfen. Er wurde mit Gabeln, Löffeln und Messern beworfen. Eines dieser Messer traf meine Stirn. Jetzt laufe ich mit einer Narbe an der Stirn herum... Damit niemals wieder jemand wegen eines in der Muttersprache gesungenen Liedes von einem Messer getroffen wird, sage ich: "Auch ich bin PKK!"

Ich möchte nur ich selbst sein. Nicht mehr und nicht weniger als jeder andere auch. Der PKK anzugehören, bedeutet gleichzeitig, auch den Feind zu verändern. Weil ein grosser Mensch unter schwersten Bedingungen "Frieden" gesagt hat, weil "Frieden die erhabenste Macht" ist und der Frieden auf jeden Fall gewinnen wird, sage ich: "Auch ich bin PKK!"

Abdullah Ahmet