junge Welt, 26.07.2001

PKK-Verbot aufheben?

jW sprach mit Mehmet Sahin von der Initiative der kurdischen Intellektuellen in Europa

F: Sie setzen sich für eine sofortige Aufhebung des PKK- Verbots in der BRD ein. Welche Gründe sehen Sie dafür?

Das PKK-Verbot wurde vor acht Jahren vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und 35 PKK-nahe Organisationen und Institutionen erlassen. De facto hat eine Verjährung stattgefunden. Selbst Bundesinnenminister Otto Schily erklärt mittlerweile, daß ein grundlegender strategischer Wandel bei der PKK stattgefunden hat und diese sich mit demokratischen Mitteln für die Lösung der Kurdenfrage einsetzt. Aus diesen und vielen anderen Gründen müßte das Verbot längst aufgehoben sein. Die rot- grüne Regierung will aber - zumindest bis zur nächsten Bundestagswahl im Jahre 2002 - aus innen- und außenpolitischen Gründen das PKK-Verbot aufrechterhalten.

F: Sie haben deutschen Stellen kürzlich vorgeworfen, eine kemalistische Kurdenpolitik zu betreiben. Woran machen Sie das fest?

Die Bundesregierung spricht gelegentlich davon, daß 600 000 Kurden in Deutschland leben. Wenn es aber um die Rechte dieser Hunderttausenden Kurden geht, werden sie auf einmal zu Türken, Arabern oder Persern erklärt, die man nach den Farben ihrer Pässe dividiert. Man ignoriert hier die Existenz der Kurden nicht, wie das in der Türkei der Fall ist. Aber die Kurden sind mit anderen Migrantengruppen, die ohnehin die untere Schicht der hiesigen Gesellschaft ausmachen, nicht gleichgestellt. Des weiteren sind die Ursachen und Gründe des PKK-Verbots in den guten Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei zu suchen. Durch dieses Verbot werden Zehntausende PKK-Anhänger in Deutschland kriminalisiert. Immer noch werden im Morgengrauen Häuser, Wohnungen und Vereinsräume überfallen und durchwühlt. Warum das Ganze? Wegen der Rücksicht auf den NATO-Partner Türkei, den man politisch, militärisch und wirtschaftlich unterstützt.

F: Momentan läuft eine Kampagne, deren Anliegen es ist, sich zur PKK zu bekennen, um so mit massenhaften Selbstanzeigen die Absurdität des PKK-Verbots zu unterstreichen. Gibt es eine Reaktion von offizieller Seite?

Die Regierenden haben seit zwei Jahren alles, was mit der Demokratisierung der Türkei und der Lösung der Kurdenfrage zusammenhängt, nach Brüssel verlagert. Mit der Auslieferung Abdullah Öcalans an seine Gegner hat man die Kurdenfrage zu den Akten gelegt. Anscheinend ist sie aus Sicht der Berliner Regierung nur noch eine polizeiliche Angelegenheit. Es gibt aus Berlin keine Reaktion zu den über 30 000 Selbstanzeigen der Kurden. Reaktion kommt nur aus Karlsruhe. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Unbekannt.

F: Von kurdischer Seite wurde in letzter Zeit immer wieder geäußert, man sei mit der Geduld bald am Ende. Was ist damit gemeint?

Es wurden alle Grundbedingungen der Europäer und der Machthaber in Ankara erfüllt: Die PKK hat vor zwei Jahren einseitig den bewaffneten Kampf eingestellt, ihre Kämpfer zurückgezogen und erklärt, daß sie eine friedliche Lösung der Kurdenfrage innerhalb der Grenzen der Türkei anstrebe. Doch diese Haltung wurde weder in Westeuropa noch in Ankara anerkannt und honoriert. Ununterbrochen finden sogenannte militärische »Säuberungs«aktionen diesseits und jenseits der Grenzen statt. Weder eine Amnestie für politische Gefangene und die Aufhebung des seit über zwei Jahrzehnten existierenden Ausnahmezustandes noch Rückkehrmöglichkeiten für Millionen vertriebene Menschen hat es gegeben. Schlimmer noch: Menschenrechtler und europäische Beobachter berichten, daß sich die allgemeine Lage in Kurdistan verschlechtert. Ständige Razzien und Repressalien gegen die pro-kurdische HADEP-Partei, Verfolgung und Mißhandlung der Menschenrechtler und Friedensaktivisten sind an der Tagesordnung.

Die PKK sagt, wenn die türkische Regierung weiterhin mit Vernichtungsschlägen operiert, fühlt sie sich gezwungen, sich mit dementsprechenden Mitteln zu verteidigen. Sollte der bewaffnete Konflikt noch einmal entfacht werden, dann weiß man nicht, wo er stoppen wird. Denn in den letzten 16 Jahren fand der Krieg fast ausschließlich in Kurdistan statt. Viele Kurden, hauptsächlich Jugendliche, sind der Meinung, daß man das Feuer »landesweit« ausbreiten muß. Das hieße, daß dann nicht nur in Kurdistan gekämpft würde, sondern die ganze Türkei davon betroffen sein könnte.

Interview: Thomas Klein