Frankfurter Rundschau, 21.07.2001

Krieg oder Frieden in der Türkei - das ist die Frage

Ankara verweigert eine Versöhnungspolitik mit den Kurden und von außen fehlen Initiativen / Von Andreas Buro

Um den türkisch-kurdischen Konflikt ist es seit längerer Zeit still geworden, obwohl nach wie vor eine Lösung aussteht. Nachdem die kurdische Guerilla, PKK, den Krieg einseitig beendete und nach dem Beschluss von Helsinki, der Türkei den Weg in die EU zu ermöglichen, breitete sich Hoffnung auf eine friedliche, politische Lösung des Konflikt aus. Mittlerweile ist jedoch wieder der Frost der türkisch-nationalistischen Repression auf alle Friedenshoffnungen gefallen. Zugeständnisse an die Kurden werden fast keine gemacht.

Die Ursachen dieser Rückwärtsbewegung in der türkischen Politik liegen in dem innergesellschaftlichen Konflikt der türkischen Eliten. Ihr konservatives bis rechtsextremes Spektrum erkennt, welche großen Reformschritte für den EU-Beitritt erforderlich sind und dass diese ihre bisherigen Privilegien und politisch-undemokratischen Zugriffsmöglichkeiten erheblich einschränken könnten. Anscheinend hat auch das Militär seine eigentlich im Sinne des Kemalismus liegende Zuwendung zur EU eingeschränkt und konzentriert sich jetzt vor allem auf die Sicherung der eigenen, in einer parlamentarischen Demokratie nicht legitimierbaren Vorrangstellung im Staate. In einem solchen politischen Klima gibt es nur Härte, aber keine friedenspolitischen Zugeständnisse, wie sehr sie auch im nationalen Interesse liegen mögen.

Die Verweigerung jeder Friedens- und Versöhnungspolitik durch Ankara hat nun jüngst den Präsidialrat der PKK veranlasst, vor dem Ausbruch eines neuen Krieges zu warnen: "Die intensivierten Angriffe der Türkei strapazieren die Geduld unseres Volkes täglich stärker." Die mit politischen, zivilen Mitteln geführte Identitätskampagne im Rahmen der zweiten Friedensoffensive sei die letzte Chance für eine politisch-demokratische Lösung. "Wenn diese Chance von den entsprechenden Mächten nicht genutzt wird, ist ein neuer Krieg unausweichlich." (zit. nach Kurdistan-Rundbrief 14/01) Da die PKK heute nicht mehr die Mittel für einen 'regulären Guerilla-Krieg' hat, läßt sich leicht vorstellen, wie ein neuer Krieg aussehen könnte, der dann möglicherweise die ganze Türkei erfassen würde. Keiner darf hinterher sagen, er habe dies nicht gewusst.

Die Kriegsgefahr wächst weiter, da Bagdad Truppen an der Grenze zu seiner kurdischen Nordprovinz konzentriert und der Iran ebenfalls Truppen an die Grenze beordert. Die Türkei operiert ohnehin, gegen internationales Recht verstoßend, immer wieder militärisch in Nord-Irak. Ankara erklärt, die Bildung eines kurdischen Staates im Norden des Irak würde von der Türkei nicht hingenommen werden.

Angesichts dieser gefährlichen Situation sollte man seitens der EU-Staaten Schritte und Programme zur Unterstützung von Reformen und der Ermutigung der kurdischen Seite, an ihrer Friedenspolitik festzuhalten, erwarten. Doch auch hier Fehlanzeige, während gleichzeitig allgemein über die Notwendigkeit einer präventiven Politik schwadroniert wird. Die englische Regierung hat gerade jüngst beschlossen, die PKK, die einseitig den Krieg aufgegeben hat, zur Belohnung - man kann es nur zynisch sagen - als terroristische Vereinigung zu behandeln. Der Bundesinnenminister hält eisern an seinem Verbot fest und nutzt die Möglichkeiten zu polizeilichen Aktionen, statt friedenspolitischen Konzeptionen zu folgen. Die Brüsseler Kommission vermeidet es ängstlich, in ihrem Forderungskatalog, die Kurden überhaupt nur zu erwähnen.

Das Nationale Programm Ankaras ist zumindest in den Teilen, die sich auf Demokratisierung, Frieden und auf die Kurden beziehen, unbestimmt. Man will überprüfen, doch was geändert werden soll und wann bleibt offen. Das Wort Kurde oder kurdisch taucht nicht auf. Das Europäische Parlament hat eine Kurdenkonferenz vorgeschlagen, doch anscheinend greift niemand diesen Vorschlag auf, obwohl es dort nicht um Separatismus, sondern um die Beilegung eines Konflikts mit politischen, also gerade nicht mit militärischen Mitteln gehen soll. Wer kann es der kurdischen Seite verdenken, wenn sie sich erneut vom 'Westen' verraten fühlt?

In dieses grau-in-grau Bild mischen sich nur dort hellere Elemente, wo die Reformkräfte sich verstärkt zu Worte melden. Da ist auf die großen Newroz-Feierlichkeiten der kurdischen Seite zu verweisen, in denen die Friedens- und Demokratiebereitschaft zusammen mit einer Zustimmung zu einem EU-Beitritt der Türkei zum Ausdruck gebracht wurden. Zu nennen ist die Stellungnahme des Industrieverbandes Tüsiad, der sich, wie schon früher, sehr konkret und fordernd zur Sache äußert und dafür Zustimmung von Gewerkschaften und Intellektuellen erhält. Arbeiten von Menschenrechts-, und Nicht-Regierungsorganisationen, sowie Intellektuellen-Gruppierungen kommen hinzu.

Die schwere Wirtschaftskrise scheint auch in manchen Teilen der Bevölkerung einen Wandel zu kritischerer Einstellung gegenüber der politischen Elite zu bewirken. Die Krise könnte somit auch eine Chance zur Überwindung von Reformwiderständen sein. Wenn doch nur mehr Unterstützung von außen für die Reformkräfte käme! Verantwortliche präventive Politik ist jetzt gefragt und nicht erst, wenn gewalttätige Konflikte erneut eskalieren.

Andreas Buro ist emeritierter Politik-Professor und Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie.