Die Presse (Wien), 29.11.1999

Weichenstellung für die türkische EU-Kandidatur

Den Schlüssel für die Annäherung der Türkei an die EU hält Griechenland in den Händen; Athen fordert allerdings Gegenleistungen.

Von unserem Korrespondenten Christian Gonsa

ATHEN. Die Uhr tickt, das Feilschen geht in die letzte Runde: Auf dem EU-Gipfel von Helsinki am 11. Dezember soll über die EU-Kandidatur der Türkei entschieden werden. Die großen Staaten der Union sind für die Aufwertung des schwierigen Aspiranten. Den Schlüssel hält aber Griechenland in Händen. Der Nachbar in der Ägäis hat die Annäherung an die EU bisher vereitelt. Griechenlands Ministerpräsident Kostas Simitis soll US-Präsident Bill Clinton anvertraut haben, daß er vor der schwierigsten Entscheidung seiner Laufbahn stehe. Besonders Frankreich, Deutschland und Italien drängen auf die Aufnahme der Türkei; das tun aber auch die USA, weil die Türkei ein strategisch wichtiger Nato-Partner ist. Die politischen Kosten eines Vetos wären fatal: Griechenland wäre international isoliert. Und noch ist das wichtigste Ziel der Regierung Simitis, die Aufnahme in die Wirtschafts- und Währungsunion, nicht erreicht. Gestörte Beziehungen zu seinen EU-Partnern sind also derzeit das letzte, was Simitis wünscht.

Athen als Lokomotive?

Außerdem hat sich Athen in den vergangenen Monaten stark exponiert. Außenminister Giorgos Papandreou erklärte, daß man die Lokomotive sein wolle, die die Türkei in die EU zieht; die Aufnahme des Nachbarn sei im Interesse Griechenlands. Ein Rückzieher Athens würde den Verlust seiner Glaubwürdigkeit bedeuten. Die Offensive entspringt übrigens der Erkenntnis, daß eine Vergemeinschaftung der griechisch-türkischen Probleme Athens Verhandlungsposition stärkt. Die Europäisierung der Türkei wäre dann mit der schrittweisen Erfüllung der griechischen Forderungen verknüpft. Der Forderungskatalog der EU-Staaten an die Türkei, der "Fahrplan", ist Gegenstand intensiver Verhandlungen. Konkret werden zwei Fragen erörtert: die Verpflichtung der Türkei, in der Frage der Grenzziehung in der Ägäis den internationalen Gerichtshof in Den Haag anzurufen; eine Garantie für die EU-Beitrittsverhandlungen Zyperns unabhängig von der Lösung des Zypernproblems. Zuletzt haben sich Bill Clinton und Frankreichs Präsident Jacques Chirac für die Anrufung Den Haags ausgesprochen. In der Frage Zyperns hat sich von den Großen der EU nur Großbritannien eindeutig auf die griechische Seite geschlagen. Darüber hinaus aber fordert Simitis aus innenpolitischen Gründen nach wie vor eine Geste der Türkei. Denn die Oppositionsparteien haben längst begonnen, die Nachgiebigkeit der Regierung zu geißeln. Eine derartige Geste könnte die Rückgabe eines Teils von Amochostos/Famagusta im türkisch besetzten Nordteil Zyperns sein. Die Türkei hat zwar prinzipiell einen Fahrplan akzeptiert, aber nicht auf die griechischen Vorstöße reagiert. Für Ministerpräsident Bülent Ecevit ist die Kandidatur nicht Ergebnis, sondern Voraussetzung für ein griechisch-türkisches Tauwetter. Immerhin hat die Türkei Rauf Denktasch, den Führer der türkischen Zyprioten, dazu überredet, einer Einladung UN-Generalsekretär Kofi Annans Folge zu leisten und an Verhandlungen der türkischen und der griechischen Zyprioten teilzunehmen. Damit wird eine Forderung der EU erfüllt.