junge Welt, 27.11.1999

Asylpolitik ohne Segen der Kirche

Schily-Äußerungen in offenem Brief kritisiert

Zunehmend kritisch wird die von der Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern Ende vergangener Woche beschlossene Altfallregelung für Flüchtlinge bewertet. Nachdem die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl die Beschlüsse unmittelbar nach deren Bekanntgabe als »kleinkariert und engherzig« umschrieb, sprechen sich nun auch Stimmen aus dem kirchlichen Lager gegen die Regelung aus. Der Deutsche Caritasverband bezeichnete die verabschiedete Altfallregelung nicht nur als »unzureichend«, sie sei sogar »restriktiver als die Regelung von 1996«.

Der Sprecher des Freiburger Caritas-Bundesbüros führte die Kritik am Freitag im Gespräch mit junge Welt aus: »Im Vergleich mit der ersten Altfallregelung von 1996 ist die Frist nicht nur um neun Monate verkürzt worden, nun muß auch noch ein Einkommen nachgewiesen werden.« Besonders tückisch: Der Einkommensnachweis kann nicht nachgereicht werden; wer ihn nicht vorlegen kann, findet seinen Namen automatisch auf der Abschiebeliste wieder. Bei den Einkommensnachweisen gebe es auch keine Härtefallregelung. Das heißt, daß erwerbsunfähige Menschen wie Alte, Kinder, Behinderte oder traumatisierte Flüchtlinge keine Chance haben, in der Regelung berücksichtigt zu werden.

Scharfe Töne schlug auch der Vorsitzende des Ökumenischen Vorbereitungskomitees zur »Woche der ausländischen Mitbürger«, Jörn-Erik Gutheil, an. Gutheil beschuldigte Innenminister Otto Schily in einem am Freitag veröffentlichten Brief, daß dieser mit seinen Äußerungen zur Asylpolitik fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Stimmungen Auftrieb verleihe. Der Kirchenfunktionär bezog sich damit direkt auf eine Stellungnahme Schilys, in der dieser 97 Prozent aller Asylbewerber als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnete. Dies wurde vom konservativen Lager aufgegriffen und als Argument zur weiteren Verschärfung des Asylrechtes benutzt. In der bisherigen Politik der Bundesregierung sei von dem versprochenen Bündnis für Demokratie und Toleranz wenig zu merken, so Gutheil in dem Brief. Er stellte klar, daß in der Vergangenheit mehr Menschen aus Deutschland ausgewandert als zugezogen seien. In der Öffentlichkeit käme jedoch nur die Botschaft an: Fremde seien eine Belastung.

Harald Neuber