Berliner Zeitung 26.11.1999

Ausland kritisiert Bestätigung des türkischen Todesurteils

ANKARA/BERLIN, 25. November. Nach der Bestätigung des Todesurteils gegen den Chef der separatistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, durch das oberste türkische Berufungsgericht wollen Öcalans Anwälte nun den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. Sie kündigten am Donnerstag ferner rechtliche Schritte an, um bei Generalstaatsanwalt Vural Savas einen so genannten Berichtigungsbeschluss zu erwirken. Die Chancen dafür gelten allerdings als sehr gering.

Die Entscheidung über eine Hinrichtung Öcalans liegt nun beim türkischen Parlament. Sollte es das Urteils bestätigen, müsste zudem noch Präsident Süleyman Demirel zustimmen. Demirel sagte am Donnerstag: "Das juristische Verfahren ist noch nicht zu Ende. Es gibt noch eine europäische Komponente." In der Türkei ist seit 1984 niemand mehr hingerichtet worden.

Auch Premier Bülent Ecevit hat sich dafür ausgesprochen, eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte abzuwarten. In seiner Koalition ist diese Haltung aber umstritten. Verteidigungsminister Cakmakoglu von der rechtsextremen Partei MHP wurde mit den Worten zitiert: "Was unsere Rechtsprechung sagt, das muss durchgesetzt werden."

Menschenrechtler angegriffen

Zahlreiche Angehörige gefallener Soldaten nahmen die Entscheidung des Berufungsgerichts mit Jubel auf. An einem Baum vor dem Gerichtsgebäude wurde ein Bild Öcalans symbolisch aufgehängt. Rund 40 Angehörige gefallener Soldaten stürmten in Ankara das Büro der Menschenrechtsorganisation IHD. Sie hätten einen der Mitarbeiter geschlagen, sämtliche Telefonkabel in dem Büro herausgerissen und das Mobiliar zerstört, teilte die Organisation mit.

Ein Sprecher von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen appellierte am Donnerstag an die Türkei, das Urteil nicht zu vollstrecken. Er erinnerte daran, dass Länder, die der EU beitreten wollen, die Todesstrafe abschaffen müssen. Brüssel erwarte von der Türkei die Einhaltung der Europäischen Menschrechtskonvention. Ähnlich äußerten sich die Regierungen Frankreichs, der Niederlande, Österreichs, Russlands und Schwedens.

Die Bundesregierung erklärte, sie vertraue darauf, dass die verantwortlichen Politiker in der Türkei "zu gegebener Zeit eine weise und weitsichtige Entscheidung" treffen würden. Die Grünen-Abgeordneten Angelika Beer und Claudia Roth nannten das Urteil ein "fatales Signal" für eine politische Lösung der kurdischen Frage. Auch CDU/CSU und FDP appellierten an Ankara, von der Vollstreckung des Urteils abzusehen. Die PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke zog eine Verbindung zwischen dem Todesurteil gegen Öcalan und der Ankündigung der Türkei, 1 000 Panzer in Deutschland kaufen zu wollen. Offenbar bestehe "auf türkischer wie auf europäischer Seite" das Bestreben, die Türkei als "nach innen und außen Furcht und Schrecken verbreitenden Militärbüttel des Westens" zu erhalten.

In Hamburg und Köln demonstrierten am Donnerstag mehrere hundert Kurden friedlich gegen das Todesurteil für Öcalan.

Öcalan hatte sich in den vergangenen Monaten mehrfach für eine friedliche Lösung des Kurden-Problems ausgesprochen und seine Hilfe angeboten. Die PKK hat zudem einen einseitigen Waffenstillstand verkündet. Bisher ist Ankara nicht auf die Friedensangebote eingegangen. (dpa, Reuters, ADN/vest.)