Frankfurter Rundschau 26.11.1999

Kommentar

Türkische Rechtspraxis

Wohl in keinem anderen europäischen Rechtssystem hätte das erstinstanzliche Öcalan-Urteil in der Revision Bestand gehabt

Von Gerd Höhler

So verblendet, das jetzt bestätigte Todesurteil gegen den PKK-Chef Abdullah Öcalan vollstrecken zu lassen, wird wohl keine türkische Regierung sein. Eine Hinrichtung würde die Türkei in Europa isolieren, den PKK-Chef womöglich auf Generationen hinaus zu einem Märtyrer machen und den gerade erst ein wenig entschärften Kurdenkonflikt aufs Neue anfachen.

Unabhängig davon aber hinterlässt der Spruch der Revisionsrichter, die das Todesurteil am Donnerstag bestätigten, einen schlechten Nachgeschmack. Wohl in keinem anderen europäischen Rechtssystem hätte das erstinstanzliche Urteil, wäre es überhaupt so gesprochen worden, in der Revision Bestand gehabt. Ein Angeklagter, der nach seiner Verschleppung sieben Tage lang in Isolation gehalten und von Militärs verhört wird, ohne Kontakt zu Haftrichtern oder Rechtsanwälten; Verteidiger, die ihren Mandanten auch danach nur stundenweise und unter Aufsicht maskierter Bewacher sprechen dürfen; eine Beweisaufnahme, die diesen Namen nicht verdient. Solche Praktiken sprechen einem demokratischen Justizsystem Hohn.

Der Öcalan-Prozess hat gezeigt, wie weit die Rechtspraxis in der Türkei noch vom europäischen Standard entfernt ist. Die Beschwerde der Öcalan-Anwälte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat gute Aussicht auf Erfolg.