Frankfurter Rundschau 26.11.1999

Todesurteil gegen Öcalan bleibt

Türkei will Spruch des Europäischen Gerichtshofs abwarten

Von Gerd Höhler

Der Kassationshof in Ankara, das oberste türkische Berufungsgericht, hat am Donnerstag das Todesurteil gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan bestätigt. Dessen Anwälte wollen nun den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen.

ATHEN, 25. November. Dem Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK droht nach der Entscheidung des Berufungsgerichts weiter die Hinrichtung. Ende Juni war Öcalan wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden. Seine Verteidiger hatten ihren Revisionsantrag unter anderem damit begründet, dass die Verschleppung des PKK-Chefs aus Kenia Ende Februar rechtswidrig gewesen sei. Auch hätte das Staatssicherheitsgericht die Friedensappelle Öcalans strafmildernd in Betracht ziehen müssen.

Die fünf Richter der 9. Kammer des Kassationshofes kamen jetzt jedoch einstimmig zu dem Beschluss, das Verfahren sei juristisch korrekt geführt worden. Damit muss nun das türkische Parlament über eine Vollstreckung des Todesurteils entscheiden. In der Türkei sind zwar in den vergangenen Jahren Todesurteile gefällt worden, die bislang letzte Hinrichtung gab es jedoch 1984. Im Fall Öcalan gibt es allerdings beträchtlichen Druck der Öffentlichkeit. Vor dem Kassationshof demonstrierten am Donnerstag Angehörige von Soldaten, die im Kurdenkrieg gefallen sind, mit Sprechchören wie "Aufhängen, aufhängen!" für die Hinrichtung.

Ministerpräsident Bülent Ecevit, selbst erklärter Gegner der Todesstrafe, scheint nun auf Zeit spielen zu wollen. Der türkische Premier weiß, dass eine Exekution die Bemühungen seines Landes um eine Annäherung an die EU um Jahre zurückwerfen würde. Bevor der Fall Öcalan dem Parlament vorgelegt wird, werde man die Straßburger Entscheidung abwarten, sagte Ecevit. Agenturberichten zufolge wird der Gerichtshof am Dienstag ein Dringlichkeitsverfahren mit aufschiebender Wirkung prüfen. Die Straßburger Richter könnten das Urteil aufheben. Das Verfahren dürfte bis zu zwei Jahren dauern.

Offenbar im Zusammenhang mit dem Gerichtsbeschluss stürmten 40 Demonstranten in Ankara die Zentrale der türkischen Menschenrechts-Vereinigung (IHD). Sie verwüsteten die Büros und schlugen den IHD-Chef Hüsnü Öndül.

In Deutschland, unter anderem in Köln und Hamburg, demonstrierten Agenturen zufolge mehrere hundert Menschen friedlich gegen die Gerichtsentscheidung.