junge Welt 26.11.1999

Wie arbeitet die Chemnitzer Ausländerbehörde?

jW sprach mit Anja Herrmann und Thomas Dietrich, Mitorganisatoren der antirassistischen Demo am Sonnabend in Chemnitz

F: Die Chemnitzer AG Junge Genossen in und bei der PDS sowie Einzelpersonen haben für Sonnabend zu einer Demonstration aufgerufen. Was ist der Anlaß?

Herrmann: Anlaß für die Demo ist ein Abschiebefall, der sich zu Beginn des Monats in Zwickau zutrug sowie die darauf folgende Äußerung des Leiters der Zentralen Ausländerbehörde Chemnitz. Betroffen ist die Familie Bongo aus Afrika, die um 5.30 Uhr morgens von Polizisten überrascht wurde, die in die Wohnung eindrangen, um Herrn und Frau Bongo zu verhaften. Sie sollten abgeschoben werden, hatten aber noch nicht einmal eine Benachrichtigung erhalten. Während dem Familienvater Handschellen angelegt wurden, sprang dessen Frau vor den Augen der Tochter und des Sohnes - sieben und zehn Jahre - aus dem Fenster des zweiten Stocks und mußte mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht werden. Als später ein Mitarbeiter der Zwickauer Ausländerbehörde einschritt und Herrn Bongo die Handschellen abnehmen ließ, teilte man der Familie mit, es hätte sich um ein Mißverständnis seitens der Zentralen Ausländerbehörde Chemnitz gehandelt.

F: Und diese mündliche Aussage sollte dann eine Entschuldigung der Zentralen Ausländerbehörde dazu sein?

Dietrich: Der Leiter der Zentralen Ausländerbehörde Chemnitz, Herr Hiersemann, äußerte einen Tag später auf Anfrage in den Medien, da der Antrag auf Aufenthaltsbefugnis vergangene Woche abgelehnt worden sei, könne von einer Blitzaktion keine Rede sein. Die Beamten hätten 24 Stunden pro Tag das Recht, den Vollzug vorzunehmen. Selbstverständlich ohne Ankündigung. Selbstmordversuche seien insbesondere bei Asylbewerbern aus afrikanischen Staaten nicht außergewöhnlich. Man sei bei jeder zweiten Abschiebung damit konfrontiert. In diesem Fall werde man die physische und seelische Genesung der Frau abwarten und dann die Aktion beenden.

F: Wenn sich der Behördenleiter schon derart öffentlich äußert, braucht man sich über die Arbeitsweise einzelner Beamter der Behörde wohl kaum noch zu wundern ...

Dietrich: Deshalb richtet sich unser Protestmarsch diesmal auch vordergründig gegen die Arbeit der Zentralen Ausländerbehörde. Wobei sich diese mit ihrer Rolle nahtlos einfügt, beispielsweise ins Vorgehen des BGS und der Polizei. Die Brisanz besteht jedoch darin, daß die Beamten der ZAB mit ihrer Abschiedepraxis teils auch über Leben und Tod von Menschen entscheiden, und das anscheinend oft genug in vorauseilendem Gehorsam.

Herrmann: Zwar gibt es auch in solch einer Behörde Menschen, die versuchen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Schaden zumindest zu begrenzen, doch der Eindruck entsteht, daß diese dann im Zweifelsfall am kürzeren Hebel sitzen.

F: Aber eine Behörde legt ja Gesetze immer nur in dem Spielraum aus, den die Politik zuläßt oder ihr vorgibt ...

Herrmann: Das ist richtig. Und die sächsische Politik liefert da die »richtige« Grundlage. Denn es ist sicher kein Zufall, daß Sachsen bundesweit gesehen in der Ausländerpolitik oft eine Sonderrolle einnimmt. Aufenthaltsbefugnisse und Duldungen sind hier meist von kürzerer Dauer als in anderen Bundesländern. Daß zuerst Ausländer und Asylsuchende Opfer einer staatlichen Sündenbockpolitik sind, ist allgemein bekannt.

F: Inwiefern wird die von der Bundesinnenministerkonferenz beschlossene Altfallregelung inhaltlicher Bestandteil der Demonstration sein?

Dietrich: Wir werden natürlich zum Ausdruck bringen, daß die erst letzte Woche beschlossene Regelung zum Bleiberecht für Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt in unseren Augen mehr als dürftig ist, zumal die Voraussetzungen und »Integrationsbedingungen« faktisch auf fast keinen Asylbewerber zutreffen. Und das war ja auch so gewollt, wie der sächsische Innenminister Klaus Hardraht gleich nach dem Beschluß verlauten ließ, da es nach seiner Aussage um eine »mengenmäßige Begrenzung« der Fälle ging. Nicht also um einen wirklichen humanitären Akt.

Herrmann: Zumal die Regelung ja die Klausel enthält, daß die unter die Altfallregelung fallenden Asylbewerber nur dann einen Anspruch auf diesen hätten, wenn sie ihren Aufenthalt nicht »vorsätzlich hinausgezögert« haben. Hat also ein Asylbewerber das Recht wahrgenommen, alle Instanzen auszuschöpfen, kann ihm das jetzt zum Verhängnis werden. Um diese und andere »Fußangeln« des neuen Beschlusses zur Altfallregelung wird es sicherlich auch auf der Demo gehen.

Interview: Annett Schwarz, Chemnitz

*** Antirassistische Demonstration, Sa., 27.11., 14.30 Uhr, W.-Külz-Platz in Chemnitz