jungle world, 24.11.1999

Europaweite Verfolgung von türkischen Linken:Feindbild DHKP-C

Europas Staatsschutzbeamte brauchen sich um ihre Arbeitsplätze weiterhin keine Sorgen zu machen. Kaum schickt die PKK zur Bekräftigung ihres Friedenskurses ihre Mitglieder freiwillig in die türkischen Gefängnisse, steht mit der DHKP-C ein neues Verfolgungsobjekt bereit. Das Kürzel steht für: Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front. Die Organisation beruft sich auf die Neue Linke der Türkei und wird hauptsächlich in den Elendsvierteln der türkischen Großstädte unterstützt.

In den letzten Wochen gerieten Funktionäre und Sympathisanten dieser marxistisch-leninistischen Organisation europaweit verstärkt unter Verfolgungsdruck. Auch in Belgien, das bisher als sicheres Rückzugsgebiet für DHKP-C-Anhänger galt. Doch seit Mitte September, als in der Kleinstadt Knokke die türkische Migrantin Fehriye Erdal verhaftet wurde, ist es damit vorbei. Die türkische Justiz bezeichnet sie als führendes DHKP-C Mitglied und fordert ihre Auslieferung.

In türkischen Medien wurde ihre Festnahme als "Schlag gegen den Terrorismus" gefeiert und als Ergebnis langer Fahndungsmaßnahmen ausgegeben. Nach Darstellung der Menschenrechtsorganisation Prison Watch war Erdals Verhaftung allerdings einem unglücklichen Zufall geschuldet. Das Haus, in dem sie wohnte, sollte wegen eines Wohnungsbrandes evakuiert werden. Bei dem Versuch, in ihrer Wohnung gelagerte Waffen in Sicherheit zu bringen, wurde sie festgenommen.

Die Verhaftung des türkischen Journalisten Nuri Eryüksel durch eine Anti-Terror-Einheit Ende Oktober in der Schweizer Kleinstadt Chur hingegen war sorgfältig geplant. Den Haftbefehl hatte die deutsche Justiz ausstellt. Eryüksel soll nun nach Deutschland ausgeliefert werden, wo ihn als angeblich führenden DHKP-C-Funktionär ein Prozess erwartet.

Dabei müsste die BRD-Justiz mit DHKP-C-Prozessen eigentlich ausgelastet sein. Ende November geht in Hamburg ein Verfahren, das über mehrere Monate geführt wurde, gegen Ilhan Yelkuvan zu Ende. Dessen Anwälte, Volker Ratzmann und Eberhardt Schultz, rechnen mit einer hohen Strafe für ihren Mandanten.

Ende September hat ebenfalls in der Hansestadt ein neuer Prozess gegen den Europasprecher der DHKP-C, Yilmaz Demirel, begonnen. Der nach einem Bombenanschlag in der Türkei schwer behinderte Publizist wurde im Januar 1999 bei einer Razzia im linken Kölner Andolu-Verlag festgenommen. Sein Anwalt sieht bei diesem Verfahren Parallelen zu den "Terroristenprozessen" der siebziger Jahre. "Meinem Mandanten wird aus seiner Rolle als DHKP-C-Europasprecher der Vorwurf der psychischen Beihilfe zu terroristischen Aktionen gemacht. Das ist ein klassisches Gesinnungsdelikt." Gegen mindestens 30 weitere DHKP-C-Mitglieder und -sympathisanten laufen zur Zeit staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.

Kein Wunder, zieht Deutschland doch wie bei der Strafverfolgung gegen die PKK auch im Kampf gegen die militanten Kommunisten mit der Türkei an einem Strang. So ist die DHKP-C außer in der Türkei lediglich in der BRD illegalisiert. Das Verbot wurde vom damaligen Innenminister Manfred Kanther im August 1998 erlassen. Bei der Verfolgung der Zeitung Kurtulus spielte die BRD gar den Vorreiter. Während die mittlerweile in Vatan umbenannte Zeitung in der Türkei erscheinen kann - wenn auch ein Teil vor Drucklegung regelmäßig zensiert und geschwärzt werden muss -, wurde sie in der BRD gleich ganz verboten.

peter nowak