Kurier (Österreich), 25.11.1999

Wieder Lostag für PKK-Chef Öcalan

Türkei: Vor Bestätigung des Todesurteils

Die Richter des Obersten Gerichtshofs der Türkei dürften heute, Donnerstag, kurzen Prozess machen mit dem PKK-Chef: Nicht mehr als wenige Minuten werde das Revisionsverfahren dauern, so die allgemeine Einschätzung, eine Bestätigung des Todesurteils gegen Abdullah Öcalan scheint unausweichlich. Damit wären alle juristischen Instanzen ausgeschöpft, das Parlament wäre am Zug.

Denn für die erste Hinrichtung durch den Strang seit 1984 ist die Zustimmung durch die Legislative nötig. Doch dort scheut man sich wie in der Regierung, das "heiße Eisen" anzufassen: Ehe man eine Entscheidung treffe, wolle man zuerst eine Klage der Öcalan-Anwälte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abwarten, sagten Premier Ecevit und Staatspräsident Demirel unisono - und dieses Verfahren kann Jahre dauern.

Mit dieser Verschleppungstaktik versuchen die Politiker einem Dilemma zu entgehen: Denn für die Mehrheit der türkischen Bevölkerung ist nach jahrelanger Propaganda klar, dass der "Baby-Mörder" Öcalan, dessen PKK in Südostanatolien für die Rechte der Kurden kämpfte, tatsächlich exekutiert werden müsse.

Genau das aber hätte fatale Folgen für das Land, das immer lauter an die Türen der EU klopft und auf dem bevorstehenden Gipfel in Helsinki offiziell den Status eines Beitrittswerbers erhalten soll. Deshalb mehren sich die Signale, dass Öcalan, der sich seit seiner Verhaftung als "Friedensapostel" darstellt, mit dem Leben davon kommen könnte.

Mit einer Lösung des Kurden-Problems hat dies freilich nichts zu tun. Selbst das groß angekündigte Wirtschaftsprogramm für das bettelarme Anatolien dürfte nach den Milliardenschäden der zwei Erdbeben jetzt ad acta gelegt werden.

Autor: Walter Friedl