Neue Züricher Zeitung, 24.11.1999

Verweigerungstaktik Saddam Husseins

Erdölausfuhr im Rahmen der Uno-Programme blockiert

Der Irak hat durch die Blockierung seiner Erdölexporte zu erkennen gegeben, dass das Land keine Verlängerung des Embargos, auch in neuer Form, akzeptiert. Der Uno-Sicherheitsrat hatte das Programm kontrollierter Ölausfuhren nur für zwei Wochen verlängert, um inzwischen eine völlig neue Regelung für die Rüstungskontrolle, kombiniert mit einer Suspendierung der Sanktionen, zu beschliessen.

vk. Limassol, 23. November

Der irakische Präsident hat am Wochenende den Erdölexporthahn zugedreht. Er nutzt eine sich bietende Chance, um die Industriestaaten durch erhöhte Erdölpreise und das Gewissen des Westens durch erneute Leiden des irakischen Volks zu erpressen; er will damit die bedingungslose Aufhebung der Uno-Sanktionen gegen sein Land erzwingen. Die Aussichten auf Erfolg sind auch in den Augen befreundeter Kommentatoren sehr gering, doch kann Saddam vielleicht eine vom Uno-Sicherheitsrat angestrebte Neuregelung der ganzen Sanktions- und Abrüstungsauflagen hintertreiben, so dass die Irak-Problematik auch weiterhin die westlichen Führer plagen müsste. Jedenfalls beweist der irakische Diktator erneut seine Fähigkeit, unter Verachtung der weltpolitischen Grosswetterlage seine eigenen strategischen Vorstellungen zu verfolgen.

Hochschnellen des Ölpreises

Die Regierung in Bagdad erliess am Sonntag nach einer Sitzung unter der Leitung von Saddam Hussein die Erklärung, dass sie die jüngste Verlängerung des Uno-Programms Erdöl gegen Lebensmittel um lediglich zwei Wochen strikt ablehne. Aussenminister Sahhaf schob nach: «In zwei Wochen kann man ja überhaupt nichts machen. Deshalb weisen wir diesen Beschluss des Sicherheitsrats vom Freitag zurück.» Die sechste Phase des humanitären Irak-Programms lief am 20. November aus; bis anhin war dieses jeweils für ein halbes Jahr erstreckt worden. Erdölminister Rashid erklärte, sämtliche Ausfuhren im Rahmen der sechsten Phase seien getätigt. Und am Montag bestätigten Uno-Vertreter in Bagdad, dass der Irak sämtliche Erdölexporte nach der Türkei unterbrochen habe; am Dienstag wurde auch der Hahn im Hafen Mina al-Bakr am Persischen Golf zugedreht. Damit müsste allmählich die ganze Maschinerie der kontrollierten Einfuhren mit humanitärem Charakter in den Irak zum Stillstand kommen, weil Bagdad ohne neue Petrodollars keine Einkäufe mehr tätigen kann. Fürs erste droht freilich nach Erläuterungen der Uno in Bagdad kein Einbruch. Lieferungen im Wert von zwei Milliarden Dollar sind derzeit unterwegs, und weitere zwei Milliarden liegen auf dem Sperrkonto des Iraks unter Uno-Aufsicht.

Eine erste Reaktion auf Saddams Beschluss bestätigte diesen in seiner Eingabe. Die Erdölpreise schnellten schon am Montag auf den höchsten Stand seit acht Jahren. Daran war die plötzliche Aussicht auf eine Verknappung des Öls auf dem Weltmarkt schuld, weil die wichtigsten Produzenten zur Stützung der Preise seit Monaten ihre Exporte drosseln und die USA unterdessen Teile ihrer strategischen Reserven verkauften. Diese Hausse liesse sich allerdings durch erhöhte Ausfuhren der Grossproduzenten auffangen. Eine zweite Reaktion braucht geraume Zeit, nämlich bis die Hilfsgüterverteilungen der Uno im Zweistromland mangels Nachschub zum Erliegen kommen. Dann meldet sich im Westen das humanitäre Gewissen.

Saddam Hussein hat aber wohl vor allem ein Drittes im Auge: die in den letzten Wochen intensivierten Beratungen des Uno-Sicherheitsrats über eine revidierte Irak-Politik. An dem ganzen Komplex neuer Vorschläge sieht er nur die eine Bestimmung, dass die Sanktionen unter gewissen Bedingungen suspendiert werden sollen. Das heisst für ihn langfristige Bevormundung und widerspricht seiner Forderung nach gänzlicher Abschaffung des Embargos, dem er, aus seiner Sicht, schon genug Raketen und ABC-Waffen- Programme geopfert hat. Deshalb verwirft der Iraker lieber die Neuerung und rückt in die Schmollecke. Im Sicherheitsrat steht noch immer die britische Resolutionsvorlage vom letzten Mai zur Debatte, welche anstelle der Ende 1998 abgezogenen Unscom-Experten neue Abrüstungsbeobachter unter dem Namen Uncim in Bagdad vorsieht. Zur Ermunterung der Iraker ist die Aussetzung des Embargos vorgesehen, falls sie die Rüstungsauflagen respektieren.

Washington sucht einen neuen Konsens

Nach Andeutungen aus dem Uno-Hauptsitz in New York interessiert sich Amerika neuerdings stärker für das Vorhaben und ist auch zu Kompromissen bereit; wahrscheinlich weil Washington auf seiner anderen Schiene, der Förderung der Opposition gegen das Regime Saddam, so schlecht vorankommt. So begrenzte Washington an der Uno die Erneuerung des humanitären Programms auf zwei Wochen, um die andern Mitglieder im Sicherheitsrat binnen dieser Frist zu einer neuen Gesamtregelung anzuspornen. Falls alles nach Wunsch verläuft, sollte Anfang Dezember einstimmig eine Irak-Politik verabschiedet werden, welche die Unterbrechung der Leiden des Volks im Austausch gegen die Zähmung Saddam Husseins anbietet. Damit wären Washington und London nach ihrer relativen Vereinzelung als Hardliners wieder vom internationalen Konsens gestützt. Und Saddam Hussein geriete über kurz oder lang unter Zugzwang. Die Einzelheiten der Vorlage sind noch strittig, etwa ob sich Bagdad bis zur Lockerung der Embargoschlinge nur 60 oder 180 Tage lang bewähren muss. Alle fordern jedoch weiterhin eine umfassende Aufsicht über die Verwendung des irakischen Erdölgeldes; hingegen soll für eine Liste von Einfuhren mit humanitärem Zweck eine automatische Zustimmung der Aufsichtskommission zugestanden werden.

Verletzte bei Luftangriffen im Südirak

Kairo, 23. Nov. (ap) Amerikanische und britische Flugzeuge haben erneut mehrere Ziele im Irak bombardiert. Dabei seien in sechs Provinzen im Süden des Landes auch zivile Einrichtungen getroffen und zehn Personen verletzt worden, berichtete das irakische Fernsehen am Montag abend. In New York bestätigte ein Sprecher des Pentagons, dass es einen militärischen Zwischenfall im Südirak gegeben habe. Kampfflugzeuge der Marine hätten eine irakische Fliegerabwehrstellung mit Raketen beschossen, nachdem ein alliiertes Flugzeug angegriffen worden sei. Alle Flugzeuge seien unversehrt auf ihren Stützpunkt zurückgekehrt.