Neue Züricher Zeitung, 24.11.1999

Schwierige Entwicklung in der Südosttürkei

Langjähriges Projekt mit Schweizer Unterstützung

Im Südosten der Türkei herrscht zum Teil bittere Armut. Trotz der schwierigen Sicherheitslage arbeitet die private Türkische Entwicklungsstiftung TKV seit dreissig Jahren daran, die Lage der Landbevölkerung zu verbessern. Einzelne Bereiche der Stiftung haben sich im Laufe der Zeit zu eigentlichen Grossunternehmen entwickelt. Ein Teil der Mittel stammt von der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit.

paz. Diyarbakir, im November

Das Feld unweit der südostanatolischen Stadt Diyarbakir sieht so aus, als würden Steine gezüchtet. So weit das Auge reicht, liegen schwarze Basaltblöcke von Melonengrösse eng nebeneinander, nur ein paar verdorrte Gräser haben sich dazwischen gezwängt. Mitten in dieser Mondlandschaft liegt das kleine Dorf Mesrik. Es besteht aus etwa 40 flachen, einstöckigen Häusern, gebaut aus demselben Basaltgestein mit Lehmdächern. Der Muhtar, der gewählte Vorsteher des Dorfes, begrüsst die Besucher mit grosser Förmlichkeit, schiebt ein paar Stühle hin und lädt zum dunklen, kräftigen Tee. Schnell steht eine Schar Männer beisammen, viele bekleidet mit den weiten, unter Kurden verbreiteten dunklen Pluderhosen. Ihre Köpfe halten sie mit Tüchern, zu einem losen Turban geschlungen, bedeckt. Wortfetzen fliegen in alle Richtungen, viel wird gelacht, doch der Übersetzer des Korrespondenten bleibt stumm. Das Kurdische ist ihm als Türken fremd.

Vielfältige Aktivitäten

Erst nach einigen Erklärungen wird ersichtlich, wie dieses Dorf von der Arbeit der privaten Türkischen Entwicklungsstiftung (TKV) profitiert, Die Veränderungen in dieser von Traditionen geprägten Gesellschaft sind tiefgreifend. Der Ausgangspunkt ist ein Brunnen am Dorfrand, wo frisches Quellwasser plätschert. Das überschüssige Wasser fliesst durch einen kleinen Kanal ein paar Meter weiter, wo einige fette Schafe - die TKV hat über Jahre bessere Rassen eingeführt - getränkt werden. Bevor vor vier Jahren der Brunnen nach einer Bohrung bis in 50 Meter Tiefe erstellt wurde, hatten die Frauen vier Stunden pro Tag damit aufgewendet, Wasser herbeizuschaffen. Nicht nur können sie ihre Zeit nun besser nutzen, auch sind die früher weit verbreiteten Rückenleiden markant zurückgegangen. Da das Grundwasser von viel besserer Qualität ist als die frühere Quelle, sind Durchfallerkrankungen bei Kindern fast völlig verschwunden. Eine Wasserkommission, an der auch Frauen beteiligt sind, ist für die Instandhaltung des Systems verantwortlich, und eine kleine Wasserabgabe reicht, die dazu benötigten Gelder zu erwirtschaften. Die Dorfbewohner haben einige Bäume gepflanzt, auch eine Neuheit in dieser Gegend.

Seit dreissig Jahren unterstützt die TKV arme Bauern in Ostanatolien. Östlich von Ankara gibt es rund eine Million Familien, deren Pro-Kopf- Einkommen weniger als 1000 Dollar im Jahr beträgt, an einigen Orten sind es gar nur 250 Dollar. Altan Ünver, der Generalsekretär der TKV, gründete mit Freunden die Organisation, als er nach mehreren Arbeitslagern die Sache auf eine konstantere Basis stellen wollte. In der Zwischenzeit haben Tausende von Bauernfamilien von den Programmen wie Bienen- oder Hühnerzucht, Teppichknüpfateliers für Frauen oder Bewässerungsprojekte profitieren können. In einigen Bereichen sind daraus sogar eigentliche Grossunternehmen entstanden. Die Köy-Tür-Holding, die Dachorganisation der Hühnerzüchter, vermarktet rund ein Fünftel des Hühnerfleisches der Türkei, bei der Honigproduktion wird eine ähnliche Grössenordnung erreicht.

Schwieriges Umfeld

Ein grosser Teil der Aktivitäten der TKV findet im Südosten der Türkei statt, da hier die Einkommen besonders tief sind. Der fünfzehnjährige Konflikt zwischen der Kurdischen Arbeiterpartei PKK und den türkischen Sicherheitskräften hat die Projekte stark beeinträchtigt. Vor allem als Anfang der neunziger Jahre die Armee begann, kurdische Dörfer zu zerstören, um den Guerillas ihre Basen zu entziehen, mussten Dutzende von Programmen eingestellt werden. «Viele von den Dörfern, in denen wir in den achtziger Jahren tätig waren», sagt Altan Ünver, «existieren nicht mehr.» Der TKV gelang es nicht, ihre Projekte mit den ehemaligen Bauern, die nun die rasch anschwellenden Aussenquartiere der Städte bevölkern, weiterzuführen. Die Leute dort seien zu verbittert und das soziale Gefüge, auf das die TKV zur Mobilisierung der Bevölkerung angewiesen ist, sei zerstört, meint Ünver bitter.

Obwohl die Programme der TKV so ausgelegt sind, dass sie mittelfristig selbsttragend werden - die Bauern erhalten die Startinvestitionen auf Kredit und bezahlen diesen proportional zu ihrer Produktion zurück -, ist sie auch auf eine teilweise Finanzierung aus ausländischen Quellen angewiesen. Unter diesen Geldgebern befindet sich die schweizerische Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. Diese Kooperation habe sich nach einem schweren Erdbeben in Lice 1975 ergeben, denn die Fachleute des Katastrophenhilfekorps hätten damals erkannt, dass die Misere nur zu einem kleinen Teil auf das Erdbeben zurückzuführen gewesen sei, begründet der Schweizer Botschafter in Ankara, André Faivet, das Engagement. Obwohl die Türkei nicht zu den Schwerpunktländern der Entwicklungszusammenarbeit Berns zählt (das Durchschnittseinkommen in der Türkei ist zu hoch), erhält die TKV seither Unterstützung. In den letzten Jahren waren dies jeweils rund 1,5 Millionen Franken.

Die Arbeit der TKV unterscheidet sich von anderen Organisationen dadurch, dass sie einen gesamtheitlichen Ansatz hat. Es genüge nicht, sagt Ünver, einem Bauer ein paar Hühner oder Bienenstöcke zur Verfügung zu stellen. Ebenso wichtig sind die anschliessende Vermarktung oder eine kontinuierliche technische Beratung. So wurde zum Beispiel eine Bienenkrankheit, welche die Honigproduzenten bedrohten, in den Labors der TKV erforscht und die Erkenntnisse anschliessend den Bauern weitergegeben. Auch initiiert die TKV die Gründung von Unternehmen, die der Verarbeitung der Produkte dienen. So sind jeweils rund 40 Hühnerhalter Aktionäre in einem kleinen Unternehmen, das die Hühner schlachtet, verarbeitet und vertreibt, und in einem zweiten, das Futter produziert.

Wenig staatliche Entwicklungsarbeit

Der türkische Staat beschränkt seine Entwicklungshilfe im Südosten vor allem auf das riesige Dammbauprojekt GAP. Nach der offiziellen Lesart soll sich wie durch ein Wunder die Region durch den Bau von ein paar Wasserkraftwerken in ein wirtschaftliches Paradies verwandeln. Die Verantwortlichen der TKV schätzen es zwar, dass dadurch die regionale Infrastruktur verbessert wird, doch die kleinen Bauern profitieren davon noch nicht. Um zu den Baumwollmonokulturen, denen der Staat den Vorzug gibt, eine Alternative anzubieten, hat die TKV in einem Feldversuch Futtermais als Zweitkultur getestet. Nicht nur kann so der Ertrag pro Are markant gesteigert werden, auch werden die Böden weniger ausgelaugt. Dazu kommt, dass die Türkei gegenwärtig Futtermittel importiert. Durch die lokale Produktion können die Pouletproduzenten von Köy Tür künftig billigeres Futter einkaufen.