junge Welt, 23.11.1999

An die Spitze gespanntes »Trojanisches Pferd«

Kommentar zur gewachsenen Rolle der Türkei in der US- amerikanischen Geopolitik.

Von Yhsan Çaralan

Jeder kann beobachten, daß das Interesse der USA an der Türkei in den letzten Monaten einen Rekordstand erreicht hat. Das erfüllt die proamerikanischen Kollaborateure mit großem Stolz. Endlich hätte Washington das der Türkei innewohnende Kräftepotential richtig erkannt. Schon vor seinem Türkei-Besuch und erst recht während der Visite hat Clinton Lobeshymnen über die türkische Geschichte gesungen und der Türkei eine große Zukunft vorausgesagt. Was bewog ihn zu diesem Heldenepos, und warum unterstützt er so entschieden die Mitgliedschaft der Türkei in der EU? Gleichzeitig kritisierte Clinton Länder, die sich dagegen wehren, als »jene, deren Horizont nicht über Unterschiede in Religion und Kultur hinausreicht«.

Die Diskussionen beim OSZE-Gipfeltreffen machen die Motive für die »Türkei-Liebe« der USA deutlich. Die USA haben der Türkei die Rolle eines »demokratischen«, »islamischen« und gleichzeitig »laizistischen« Landes zugedacht - als Beispiel für die Staaten auf dem Balkan, im Kaukasus, im Mittleren Osten und in Mittelasien. Mit diesem Image versehen soll die Türkei bei der Umgestaltung dieser Region die Interessen der USA wahrnehmen. Als Gegenleistung wird von den USA die Unterstützung der Türkei hinsichtlich eines EU-Beitritts in Betracht gezogen. Die EU-Länder grenzen die Türkei ja nicht deshalb aus, weil sie ein »islamisches Land« ist und »einer anderen Kultur angehört«. Die eigentliche Ursache ist doch die, daß »die Türkei das Trojanische Pferd Amerikas« sein würde. Dies hatte vor einigen Jahren der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl klar zum Ausdruck gebracht.

Amerika hat die Absicht, die Türkei als »Akkordarbeiter« zu beschäftigen: Herstellung einer Achse zu Israel, Stationierung von Truppen in der Türkei. Dazu kommt die geo-strategische Lage im Hinblick auf die Energiewege; das militärische und ökonomische Potential der Türkei sowie deren Nähe zu Rußland. Die US-hörigen Kräfte argumentieren: Wenn der Türkei nützt, was auch der Supermacht USA nützt, ist das nicht schlecht, sondern gut, ja eine »historische Möglichkeit«. Auch die kurdischen und islamistischen Kreise haben dies erkannt und ihre Politik damit in Einklang gebracht. So war es denn auch, daß Öcalan und die PKK ganz offen zum Ausdruck gebracht haben, daß »die USA unschlagbar« seien und man auf diesem Gebiet gegen sie keine Chance hätte. Also rufen sie dazu auf: »Macht aus der Türkei mit den Kurden (Iraks, Syriens und des Iran) und allen Turkvölkern und Kaukasiern in Mittelasien und im mittleren Osten eine Groß-Türkei. (Im Kommentar der letztwöchigen Ausgabe der Zeitung Özgür Bakis wird hervorgehoben, daß die Unterzeichnung des Vertrages für die Pipeline Baku- Ceyhan durch die Anstrengungen der PKK möglich geworden sei). Die Islamisten sagen zu den Verantwortlichen in Ankara: »Einigt euch mit den Muslimen und werdet zum führenden Land in der islamischen Welt. (Dabei wird dasselbe geographische Gebiet gemeint). Beide Seiten erneuern damit nur die »Lösungswege«, die Amerika der Türkei vorgeschlagen hat.