Süddeutsche Zeitung, 23.11.1999

Innenministerium gibt "Straftätern" keine Chance:

Im Kirchenasyl droht eine menschliche Katastrophe

Altfallregelung gilt nicht für Flüchtlinge in Pfarrgemeinden

Von Uwe Ritzer

München/Weißenburg - Rund 500 bis 700 in Bayern lebende Asylbewerber kommen nach Angaben von Michael Ziegler, Sprecher des bayerischen Innenministeriums, in den Genuss der von der Innenministerkonferenz in Görlitz beschlossenen Altfallregelung. "Unter keinen Umständen" werden nach seinen Worten jene Ausländer davon profitieren, die im Kirchenasyl leben.

Das sind nach Aussage von Pfarrer Walter Steinmaier aus Nürnberg, dem Sprecher des ökumenischen Kirchenasylnetzes in Bayern, derzeit insgesamt 33 Flüchtlinge, die in sieben katholischen und evangelischen Pfarrgemeinden Zuflucht gefunden haben und so ihrer Abschiebung entgehen. Einige von ihnen erfüllen ein wesentliches Kriterium der in Görlitz beschlossenen Altfallregelung: Sie sind seit mindestens 1. Juli 1993 in Deutschland.

So etwa die kurdische Familie Yildiz. Seit 1989 lebt sie in der Bundesrepublik, Sohn Deniz (9) wurde hier sogar geboren und spricht kaum Türkisch. Seit 23. September 1995 wohnen Vater Maksut, Mutter Hatun und die Kinder Deniz, Hüsseyin (18) und Gülbahar (20) im Kirchenasyl der evangelischen Andreasgemeinde im mittelfränkischen Weißenburg. Seitdem, so argumentiert Ministeriumssprecher Ziegler, seien sie illegal im Lande. Illegaler Aufenthalt sei eine Straftat. In den Genuss der Altfallregelung kommen aber nur Asylbewerber, die sich in Deutschland nichts zu Schulden kommen ließen. Weiter hätten die Yildiz gegen eine andere Bedingung der Innenministerkonferenz verstoßen: Mit wiederholten Asylfolgeanträgen hätten sie ihren Aufenthalt hinausgezögert.

Hoffnung auf dem Nullpunkt

Für die Familie Yildiz bedeutet dies, dass ihre Hoffnung auf einen legalen Verbleib im Lande nahezu auf den Nullpunkt gesunken sind. Sogar der Deutsche Bundestag hatte sich mit den Stimmen von SPD und Grünen zuvor für sie eingesetzt und schwere Fehler im Asylverfahren gerügt (die SZ berichtete). Doch SPD-Innenminister Otto Schily stellte sich vor die von den rot-grünen Abgeordneten besonders attackierte Zirndorfer Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und wies die Kritik als unbegründet zurück.

Anschließende Appelle führender bayerischer SPD-Politiker, wie von Landeschefin Renate Schmidt und Landesgruppenchef Ludwig Stiegler, dann wenigstens in Görlitz dafür zu sorgen, dass die Familie Yildiz von der Altfallregelung profitiert, ist Schily entweder nicht gefolgt oder er konnte sich nicht durchsetzen. In der eigenen Partei gerät er deswegen unter Beschuss. Der Innenminister fahre "eine ziemlich harte Linie", konstatierte gestern die Fürther SPD-Bundestagsabgeordnete Marlene Rupprecht und fügte hinzu, die Verärgerung darüber in den eigenen Reihen wachse zusehends. Derweil weist Günther Becksteins Sprecher Ziegler darauf hin, dass "selbst das rot-grün geführte Bundesinnenministerium in Sachen Yildiz nichts anderes sagt wie wir auch."

Von SPD und Grünen enttäuscht

Der für den Fall zuständige Pfarrer Thomas Miederer konstatiert ernüchtert, Hoffnungen auf einen Kurswechsel in der Ausländerpolitik durch SPD und Grüne seien seit der Bundestagswahl 1998 "mehr als enttäuscht" worden. Große Hoffnungen auf ein glückliches Ende des Kirchenasyls hat er nicht mehr; er fürchtet vielmehr, dass sich hier "eine menschliche Katastrophe" anbahnt. Von einer noch ausstehenden Entscheidung des Ansbacher Verwaltungsgerichts über einen Asylfolgeantrag der Kurden verspricht er sich nichts. Sein Amtsbruder Steinmaier vom ökumenischen Kirchenasylnetz Bayern sagte, er habe den Eindruck, SPD-Minister Schily sei "bei diesem Thema auf den Kurs von Beckstein eingeschwenkt."