Frankfurter Rundschau, 22.11.1999

Irak-Politik auf dem Prüfstand

Im Blickpunkt: UN verlängern Programm

Von Pierre Simonitsch (Genf)

Nur um zwei Wochen hat der UN-Sicherheitsrat die am Samstag ausgelaufene Bewilligung für Irak verlängert, Erdöl gegen Nahrungsmittel zu tauschen. Die zwischen den USA und Russland getroffene Vereinbarung schafft etwas Spielraum für eine langfristige Lösung des bereits zehn Jahre dauernden Irakkonflikts.

Das humanitäre Programm "Öl für Nahrungsmittel" erlaubt es Irak, für 10,5 Milliarden Dollar pro Jahr Erdöl zu exportieren und den Erlös zum Kauf von Nahrungsmitteln und Medikamenten für die notleidende Bevölkerung zu verwenden. Drei zusätzliche Milliarden wurden als Überbrückungshilfe genehmigt. Damit sollen den gegen Irak verhängten Wirtschaftssanktionen einige Härten genommen werden. Daneben befasst sich der Sicherheitsrat aber mit verschiedenen Resolutionsentwürfen, die eine Aufhebung oder Unterbrechung der Sanktionen zum Ziel haben.

Russland, China und Frankreich setzen sich für eine Aufhebung der Sanktionen ein. Die USA und Großbritannien sind dagegen. Jede dieser fünf Mächte besitzt ein Vetorecht im Sicherheitsrat.

Die irakische Regierung wies im Herbst 1998 die Inspektoren der UN-Sonderkommission (Unscom) aus, die alle in Irak befindlichen Massenvernichtungswaffen vernichten sollten. Daraufhin bombardierten die USA und Großbritannien jene Gebäude, in denen sie Waffenfabriken oder -lager vermuteten. Seither sind die Gespräche zwischen Bagdad und den UN völlig festgefahren.

Washington vertritt die Meinung, dass nur die Beseitigung Saddam Husseins eine Lösung herbeiführen könne. Sie versucht zu diesem Zweck eine irakische Opposition zu bilden und zu finanzieren. Moskau und Paris glauben nicht an einen Erfolg dieser Bemühungen und wollen dem derzeitigen Regime in Irak ein "Licht im Tunnel" zeigen: Saddam Hussein soll durch eine Lockerung oder Aufhebung der Sanktionen dazu bewogen werden, wieder Waffeninspektoren der UN zuzulassen.

Zwischen diesen beiden Standpunkten ist ein Mittelweg schwierig. Als jetzt die Verhandlungen in ihr kritisches Stadium eintraten, wartete der US-Geheimdienst mit neuen "Enthüllungen" auf. Danach hätten die Iraker den Wiederaufbau der im Dezember zerstörten Waffenfabriken begonnen. Das Pentagon schließe nicht aus, dass Irak erneut chemische und biologische Kampfstoffe herstelle.

Die irakische Regierung lehnt die neue Resolution ab, wie sie jede ablehnt, die nicht die vollständige Aufhebung der Sanktionen beinhaltet. Auch die von Russland und Frankreich unterbreiteten Entwürfe hätten danach keine Chance. Beobachter gehen aber davon aus, dass Saddam Hussein einem Kompromiss zustimmen würde, wenn er darin einen Vorteil sieht. Laut UN und einem Bericht des Kinderhilfswerks Unicef ist die wirtschaftliche Lage in Irak katastrophal. Aber auch die Unterdrückung der Bevölkerung sei noch schlimmer geworden.

Das humanitäre Programm "Öl für Nahrung" wird in der Regel für jeweils sechs Monate genehmigt. Von seinen Öleinkünften, die über eine französische Bank abgerechnet werden, muss Irak 30 Prozent für die Wiedergutmachung der bei der Besetzung Kuwaits angerichteten Schäden, 2,2 Prozent für die UN-Verwaltung und 0,8 Prozent für die Finanzierung von Unscom abliefern.

Russland hat diese Woche im Sicherheitsrat vorgeschlagen, die Obergrenze für irakische Ölexporte aufzuheben und den Betrag für den Kauf von Ersatzteilen für die veralteten oder beschädigten Förderanlagen von 300 auf 600 Millionen Dollar pro Halbjahr zu erhöhen. Die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten soll nicht mehr der Bewilligung des Sanktionsausschusses der UN unterliegen. Ferner fordert Peking die Einstellung des Luftkrieges der USA und Großbritanniens gegen irakische Stellungen in den "Schutzzonen". Moskau will diesen in einer Lösung "berücksichtigt" sehen.