Neue Züricher Zeiung, 22.11.1999

Wenn die «Grauen Wölfe» heulen

Gewaltsame Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Türken

pbk. Am 18. November 1995 kam es beim Zürcher Strassenverkehrsamt zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Anhängern der rechtsgerichteten türkischen Partei MHP - der «Grauen Wölfe» - und Sympathisanten der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Grund dieser unheilvollen Begegnung war ein Fest des türkischen Kulturvereins im «Schützenhaus Albisgütli», gegen das linksgerichtete Türken zu protestieren gedachten. Beim Zusammentreffen der beiden Gruppierungen wurde die Stimmung durch das Skandieren gegenseitiger Schmährufe angestachelt. Während die PKK-Anhänger «Nieder mit den Faschisten» riefen, konterten die MPH-Treuen mit der Parole «Nieder mit den Kommunisten». Nachdem sich einzelne Demonstranten dazu hinreissen liessen, Steine zu werfen, zogen drei MPH-Anhänger ihre Faustfeuerwaffen und begannen auf die verfeindete Gruppierung zu schiessen. Trotz mehreren verletzten Personen liessen sich die Demonstranten nicht in die Flucht schlagen, sondern gingen unter Zuhilfenahme von Stöcken und Steinen zum Gegenangriff über. Einzig die herbeigerufene Polizei konnte eine weitere Eskalation der Auseinandersetzung verhindern.

Dieser Tage hat sich nun die I. Strafkammer des Zürcher Obergerichts einmal mehr mit den gewaltsamen Ereignissen vom 18. November 1995 beschäftigt. Vor Gericht stand ein MPH- Sympathisant, der am 26. März 1999 vom Bezirksgericht Zürich des Landfriedensbruchs schuldig gesprochen und mit fünf Monaten Gefängnis bestraft worden war. Der Vollzug der Strafe war aufgeschoben und eine Probezeit von zwei Jahren angesetzt worden.

Aufrührer oder Unbeteiligter?

Laut Anklageschrift hatte der 40jährige Angeklagte die im Schützenhaus versammelten Türken dazu aufgerufen, die sich sammelnden Demonstranten zu vertreiben. Auf Grund dieses Ansinnens habe er sich anschliessend mit einer Gruppe von 20 Männern zum Strassenverkehrsamt begeben. Dort eingetroffen, sei es zur besagten Auseinandersetzung gekommen. Eine direkte gewalttätige Handlung konnte dem Angeklagten indessen nicht nachgewiesen werden. Vor Obergericht beteuerte der mit einer Schweizerin verheiratete Mann erneut seine Unschuld. Weder habe er die türkischen Männer dazu aufgefordert, die Demonstranten zu vertreiben, noch sei er an den Krawallen beteiligt gewesen. Im Gegenteil - er sei im Restaurant geblieben, bis die Polizei gekommen sei. Der Belastungszeuge, den er vom Kulturverein her kenne, habe falsch ausgesagt. Es bestehe zwar keine Feindschaft zwischen ihm und dem Zeugen, doch habe man sich wegen einer Wahl im Kulturverein einst im Disput befunden.

Verteidiger verlangt Freispruch

Gemäss den Ausführungen des Verteidigers handelt es sich beim Belastungszeugen um eine eigentliche «Wetterfahne». Seine Aussagen seien im Kerngehalt durchwegs widersprüchlich. So habe dieser einst einen der türkischen Schützen für anonyme Todesdrohungen verantwortlich gemacht, später die Aussage zurückgenommen und seinen Mandanten belastet. Schliesslich habe der Zeuge zu Protokoll gegeben, er sei von niemandem bedroht worden. Der Angeklagte selbst habe nie an der öffentlichen Zusammenrottung teilgenommen. Zu keinem Zeitpunkt habe er eine «die Friedensordnung bedrohende Grundhaltung» eingenommen. Da die Aussagen seines Mandanten im Kerngehalt stimmig seien, müsse er vom Obergericht freigesprochen werden.

Das Gericht und der Anwalt kamen überein, auf eine öffentliche Urteilsberatung zu verzichten. Der Entscheid wird schriftlich eröffnet.