taz, 22.11.1999

Bundesregierung sitzt auf Minen

Offener Brief der Landminenkritiker an den Kanzler. Bundesregierung meldet 88.000 Minen nicht und unterläuft so das Antipersonenminen-Abkommen

Von Maike Rademaker

Berlin (taz) - Der "Deutsche Initiativkreis für das Verbot von Landminen" macht gegen die rot-grüne Bundesregierung mobil. In einem offenen Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vom 11. November fordert der Kreis diesen auf, die Lagerbestände an Landminen der Bundeswehr endlich der UN zu melden, wie es die 1997 aufgestellte Ottawa-Konvention vorsieht.

Außerdem fordern die Entwicklungsorganisationen, zu denen unter anderem Brot für die Welt, Terre des hommes und die Deutsche Welthungerhilfe gehören, Schröder auf, die für die Beschaffung und Weiterentwicklung von militärisch relevanten Minentechnologien eingeplanten 750 Millionen Mark aus Bundesmitteln anderweitig zu verwenden.

In ihrem Brief beziehen sich die Unterzeichner bei der Meldung der Bestände besonders auf die 88.000 Muspa-Minen der Bundeswehr. Die "Multi-splitter-passiv-aktiv" Mine gilt nach Lesart des Bundesverteidigungsministeriums nicht als Antipersonenmine. Die Mine, eine von 600 Varianten insgesamt, kann von Kampfflugzeugen fernverlegt werden, wird über Sensoren aktiviert und soll vornehmlich landende und startende Flugzeuge treffen. Deswegen wird sie zur so genannten Submunition gezählt. In den USA wird die Mine allerdings als Anti-personenmine definiert, da sie bei Aktivierung 2.100 Stahlkügelchen verstreut und es auch nicht sicher ist, ob sie tatsächlich nur durch die Sensoren ausgelöst werden kann.

"Bedenklich erscheint uns das deutsche Beharren auf Submunitionsminen auch im Lichte der Tatsache, dass andere Länder längst mit der Vernichtung solcher Waffen begonnen haben und Großbritannien sogar die Aufträge an deutsche Firmen vergibt", schreiben die Unterzeichner. "Auf diese Weise trägt Deutschland dazu bei, dass das Ottawa-Abkommen unterlaufen wird." Die Bundesrepublik könne, so fürchtet die Initiative, damit ein schlechtes Beispiel für andere Länder geben.

Das Ottawa-Abkommen, das am 1. März dieses Jahres in Kraft trat, verpflichtet die Vertragspartner dazu, alle Antipersonenminen innerhalb von vier Jahren zu vernichten und innerhalb von 10 Jahren alle Landminen auf ihrem Staatsgebiet zu beseitigen. Allerdings wird in dem Abkommen die Definition von Antipersonenminen sehr eng gefasst, so dass zahlreiche andere Minen, die Zivilisten gefährlich werden können, nicht unter das Abkommen fallen. Die Muspa ist als Submunitionsmine umstritten.

Das Ottawa-Abkommen wurde bis März von 65 Staaten ratifiziert, darunter Deutschland, und von 133 Staaten unterzeichnet. Die USA gehören nicht dazu.

In seinem Brief macht der Kreis auch darauf aufmerksam, dass die AT2-Antipanzerminen, die Griechenland von Deutschland kaufen möchten, nicht nur von der Initiative, sondern auch vom Internationalen Roten Kreuz als Antipersonenminen gelten, da sie bei der geringsten Berührung hochgehen. Griechenland hatte im Januar angefragt, ob sie 23 Minenwerfer und 36.000 Minen aus Bundeswehrbeständen kaufen können. Bisher haben grüne Politiker keine Möglichkeit gesehen, dagegen einzuschreiten, da es sich offiziell nicht um Antipersonenminen handelt.

Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) hatte noch im Februar das Inkrafttreten der Konvention begrüßt. Die internationale Staatengemeinschaft habe damit der Antipersonenmine weltweit den Kampf angesagt, das Inkrafttreten sei aber kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen, äußerte er sich damals. Den Schwerpunkt legte er aber nicht auf die Herstellung, den Verkauf oder den Besitz der Minen, sondern auf deren Räumung: "Sie töten und verstümmeln Jahr für Jahr mehr als 20.000 Menschen. Wichtig ist und bleibt daher die Räumung der noch vorhandenen Minen."

Der Initiativkreis fordert Schröder auf, die bisher im Bundesetat vorgesehenen Mittel lieber für die Beseitigung von Schäden durch Minen zu verwenden und international eine Vorreiterolle bei der Diskussion um die Ausweitung des Verbotes auf alle Landminen zu übernehmen.

Der Haushaltstitel 1999 enthielt laut dem Landminenreport der Initiative vom Mai für die Entwicklung, Forschung und Beschaffung von Landminen 17 Millionen Mark (1990: 573 Millionen) und rund 16 Millionen für die humanitäre Minenräumung. Im Koalitionsvertrag hatten die Parteien zugesagt, dass sie sich für ein umfassendes Verbot von Landminen einsetzen wollen.