Frankfurter Rundschau, 22.11.1999

"Berlin unterläuft Minenverbot"

Hilfsorganisationen bezweifeln Vertragstreue der Bundeswehr

Von Stephan Hebel

FRANKFURT A. M., 21. November. Die Bundesregierung unterläuft nach Ansicht deutscher Entwicklungs-Organisationen das vertraglich festgeschriebene Verbot von Minen, die gegen Menschen gerichtet sind. In einem Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der der Frankfurter Rundschau vorliegt, äußern sie die Sorge, "dass die Bundeswehr auch nach Inkrafttreten des Ottawa-Vertrages noch immer Anti-Personen-Minen vorhält".

Solche Waffen sind nach dem Vertrag von Ottawa, dem sich Deutschland angeschlossen hat, verboten. Den Brief an Schröder haben unter anderem Vertreter des deutschen Komitees für das UN-Kinderhilfswerk Unicef sowie der Hilfsorganisationen Brot für die Welt, misereor, medico international, Oxfam, terre des hommes, Pax Christi und Deutsche Welthungerhilfe unterschrieben.

Sie beziehen sich auf Waffen mit dem Kürzel "MUSPA" (Multi-Splitter-Passiv-Aktiv), von denen die Bundeswehr nach ihren Angaben 88 000 Stück besitzt. Die Minen gelten offiziell als "Submunition" zu der von Tornado-Flugzeugen mitgeführten "Mehrzweckwaffe 1". Auf dem Boden gelandet, werden die Sprengkörper durch Geräusche aktiviert. Offiziell sollen sie landende Flugzeuge oder motorisierte Verbände treffen und fallen deshalb nicht unter das Verbot der gegen Menschen gerichteten Minen. Die Unterzeichner des Briefes widersprechen dieser Darstellung mit den Worten, dass diese Waffen "nach unserer Beurteilung (wie auch der des US-Pentagon) eindeutig als Anti-Personen-Minen einzustufen sind, weil sie Merkmale einer solchen Waffe erfüllen". Tatsächlich findet sich "MUSPA" auf der Internet-Seite des vom US-Verteidigungsministerium durchgeführten Programms für humanitäre Minenbeseitigung unter der Überschrift "Anti-Personen-Mine". Ob die Waffe nur auf Geräusche reagiere, sei "zumindest fraglich", meinen die Minengegner. Zudem verstreue "MUSPA" bei Aktivierung 2100 Stahlkügelchen, was sie vor allem als Waffe gegen "weiche Ziele", also Menschen, geeignet erscheinen lasse. Die Stahlkugeln werden denn auch in der Internet-Information als "primärer tödlicher Mechanismus" bezeichnet. In dem Brief an Schröder heißt es: "Auf diese Weise trägt Deutschland dazu bei, dass das Ottawa-Abkommen unterlaufen wird."

Die Unterzeichner bilden gemeinsam die deutsche Sektion der Internationalen Kampagne für das Verbot von Landminen, das am Ottawa-Vertrag entscheidend beteiligt war und dafür den Friedensnobelpreis erhalten hat. Sie fordern Schröder auf, sich "verstärkt für die Ächtung sämtlicher Landminen einzusetzen", da auch gegen Fahrzeuge gerichtete Minen immer Menschen gefährdeten.