Neue Züricher Zeitung, 20.11.1999

Weiter Weg zur Wahrung der Menschenwürde

Zehn Jahre Anti-Folter-Konvention des Europarats

Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des Anti-Folter-Komitees hat der Europarat in Strassburg an einem Symposium über Erfolge und Defizite bei der Durchsetzung der Menschenrechte beraten. Laut dem Anti-Folter-Komitee sind ernsthafte Fälle von Folter in sieben Staaten festgestellt worden. Besonders in der Türkei seien Folter und andere Formen schwerer Misshandlung charakteristisch für die Polizeihaft.

uth. Strassburg, 19. November 1999

Selbst Rechtsstaaten haben früher bei der Ausübung ihrer Gewalt immer wieder die Grundrechte vor allem von Inhaftierten verletzt. Um diesen Missstand zu beseitigen, schlug der Schweizer Jean-Jacques Gautier seiner Regierung vor 25 Jahren die Ausarbeitung einer Konvention vor, welche eine systematische Überwachung der Haftbedingungen in Gefängnissen auf eine international verbindliche Basis stellt. In der Parlamentarischen Versammlung des Europarats fand er ein Forum, das seinen Vorschlag aufnahm. 1989 entstand die inzwischen von allen 41 Mitgliedstaaten übernommene Anti-Folter-Konvention. Gleichzeitig wurde ein Ausschuss zur Verhütung der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gegründet, in den jedes Mitglied des Europarats Experten entsendet. Dieser Ausschuss legt jedes Jahr eine Liste der Länder fest, in denen offizielle Besuche zur Prüfung der Haftbedingungen durchgeführt werden. Daneben werden aber auch zahlreiche unangemeldete Überprüfungen durchgeführt.

Weniger Fälle von krasser Folterung

Im vergangenen Jahr nahm der Ausschuss zur Verhütung der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung 50 Überprüfungen vor, wobei mit mehr als 200 000 Gefangenen gesprochen wurde. Die umfangreichen Besuchsberichte des Ausschusses werden zusammen mit den Stellungnahmen der jeweiligen Regierung dem Ministerkomitee des Europarats vorgelegt. Es steht den Regierungen frei, sie zu veröffentlichen. Eine Veröffentlichung ist inzwischen fast zur Regel geworden, weil Verheimlichungen vor allem bei den Medien die Vermutung auslösen, es seien schwerwiegende Vorkommnisse aufgedeckt worden. An einem aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Anti-Folter-Konvention veranstalteten Symposium in Strassburg stellte der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Sommaruga, fest, dass die Zahl der politischen Gefangenen und die krassen Fälle von Folter zurückgegangen seien, dass sich aber nur wenige Länder vom Vorwurf leichter Misshandlungen und der Anwendung entwürdigender Methoden freisprechen könnten. Die Gründe dafür seien die allgemein schlechten Haftbedingungen in überfüllten Gefängnissen, die dort herrschende Gewalt, der Drogenmissbrauch und die sexuelle Misshandlung vor allem Jugendlicher. Wie ein roter Faden zieht sich durch fast alle Berichte auch der Tatbestand der entwürdigenden Behandlung Verdächtiger durch die Polizei.

Vor allem in der Türkei

Laut dem Anti-Folter-Komitee sind ernsthafte Fälle von Folter in sieben Staaten festgestellt worden. Besonders in der Türkei seien Folter und andere Formen schwerer Misshandlungen die Charakteristika der Polizeihaft. Gefangene beklagten sich über Methoden wie Aufhängen an den Armen, Elektroschocks, Schläge auf die Fusssohlen, Abspritzen mit kaltem Wasser unter hohem Druck und Isolierhaft. Fortschritte habe es zwar auf der Ebene der rechtlichen Rahmenbedingungen gegeben. Ihre Umsetzung in die Praxis sei jedoch gescheitert. Aber auch in Zypern, Spanien, Bulgarien und Portugal gebe es zahlreiche Beschwerden über ernsthafte Misshandlungen. Die Berichte über einige neuere Mitgliedstaaten wie Albanien, Russland und die Ukraine sind in dieser Aufstellung allerdings noch nicht enthalten.