Frankfurter Rundschau 20.11.1999

Rüstungsfragen? Aber nicht doch

Auf Nahost-Tour sucht Minister Rudolf Scharping peinlich den Eindruck zu vermeiden, es ginge um Waffenexport

Von Axel Vornbäumen (Abu Dhabi)

Das wird wieder Bilder geben - für die Heimat und für den Rest der Welt. Schnurstracks ist der Mann im dunklen Anzug auf den in praller Mittagshitze ausgestellten Eurofighter zugesteuert, durchaus federnden Schrittes hat er die Treppe, die zum Cockpit hochführt, gemeistert, um dann, ein wenig ungelenk vielleicht, aber das mag am Alter liegen, in die enge Zelle des Kampfflugzeugs einzusteigen. Da sitzt er nun, offenkundig fasziniert von der Technik, und deutet auf Knöpfe und Schalter und lässt sich von einem seitlich über ihn gebeugten Piloten erklären, was der Vogel so alles kann. Hinter einer Absperrung drängt sich das Publikum der "Dubai 2000", der drittgrößten Luft- und Raumfahrtmesse der Welt. Die Fotografen knipsen was das Zeug hält. Und ein deutscher Industrieller seufzt voll ehrlicher Bewunderung: "So macht man Verkaufsförderung." In diesem Moment nähert sich Rudolf Scharping der Szenerie. Ein wenig muss der Minister gegen die Sonne blinzeln, dann hat auch er den prominenten Technik-Freak, der da keine zwanzig Meter Luftlinie von ihm entfernt im Cockpit des Eurofighters herumhantiert, erkannt: "Ach, der Charles, wie nett."

Spricht's, macht auf dem Absatz kehrt und strebt ohne weitere Einlassung zur Sache dem Ausgang zu. Jedwede Annäherung an den britischen Thronfolger verbietet sich zu diesem Zeitpunkt - nicht nur aus protokollarischen Gründen. Denn die Zeit wird knapp. In einer Dreiviertelstunde schließt der Flughafen Dubais, dann beginnt die große "Airshow". Und Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, im fernen Berlin Mitglied einer rot-grünen Bundesregierung, die sich gerade an der Frage wund zu scheuern droht, wie sie es denn mit den Rüstungsexporten hält, dieser Scharping also, womöglich bewaffnet mit einem Feldstecher auf der Tribüne, sich Kunststücke von Kampfjets anguckend - das wären Bilder. Lieber nicht.

Es ist ein sensibles Terrain, auf dem sich Rudolf Scharping in diesen Tagen am Persischen Golf und in Ägypten bewegt, auch wenn der Minister, zumindest in der Zeit zwischen seinen offiziellen Terminen, durchaus Kraft darauf verwendet, dies als eine Betrachtung abzukanzeln, die sich allzu sehr an innenpolitischer Engstirnigkeit orientiert. Für jemanden mit Weltsicht ergeben sich andere Perspektiven. Davon später.

Natürlich weiß auch ein Rudolf Scharping samt seiner interpretatorisch günstig zusammengesetzten Entourage ("Den Hauptabteilungsleiter Rüstung habe ich zu Hause gelassen"), dass in diesen Wochen jeder Schritt, jede Handbewegung, jede Äußerung unter dem Generalverdacht steht, da befinde sich gerade einer in der Mutation zum Rüstungslobbyisten. So wurde denn, aus "Termingründen", wie es offiziell heißt, der Abstecher in die Türkei auf Dezember verschoben. Angeblich hatte man die Termindichte während der in Istanbul stattfindenden OSZE-Konferenz unterschätzt. Aber ein paar quengelnde Journalistenfragen nach dem Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Rüstungsexporten erspart es natürlich auch. Und auch auf der "Dubai 2000" fällt die Besuchstour an den Ständen der deutschen Aussteller spärlicher aus, als dies die Veranstalter ursprünglich geplant hatten. So wird beispielsweise auf die Anwesenheit bei der Unterzeichnung eines "Memorandums of Understanding" verzichtet, mit dem sich die Daimler-Chrysler Aerospace (Dasa) und das Verteidigungsministerium der Vereinigten Arabischen Emirate auf eine langfristige Partnerschaft auf dem Hoch-Technologie-Sektor aneinander binden wollen. Unter anderem soll überlegt werden, wie weit die Kooperation bei der Entwicklung des Kampf- und Trainingsflugzeugs "Mako" gehen kann. Der Minister sieht es mit wohlwollend distanziertem Interesse.

"Ich habe dort keine Rolle", sagt Scharping, da hat er noch keinen Fuß auf den Wüstensand gesetzt, "und ich will auch keine Rolle haben." Schließlich sei er nicht an den Golf gefahren, um "Exportförderung im Rüstungsbereich zu betreiben". Dabei hätten die Gastgeber ihn am liebsten einen ganzen Tag lang auf dem neuen Messegelände in Dubai behalten - es wurden knapp zwei Stunden, und ein bisschen "Rolle" wurde es dann auch. "Die sehen das halt furchtbar gern, wenn ein Minister zu ihrer Airshow kommt", versucht einer die arabische Handelsseele zu erklären und regt sich über diesbezügliche westliche Unvernunft gehörig auf: "Es gibt immer noch ein paar Idioten, die glauben, das hier sind alles Kameltreiber."

Rudolf Scharping kann damit nicht gemeint sein. Flüssig kann er die wirtschaftlichen Basisdaten der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) herunterspulen, drei Milliarden Mark etwa beträgt das derzeitige deutsche Außenhandelsvolumen mit den VAE, 240 deutsche Firmen sind engagiert - für Kameltreiber wäre das in der Tat ein bisschen viel der Aufmerksamkeit. Und just hier beginnt der Teil über die Weltsicht des Rudolf Scharping, der sich im Übrigen über die "fast manische Konzentration auf die Frage: Werden Rüstungsgüter exportiert oder nicht?" mächtig echauffieren kann. Eine "dramatische Verkürzung" sei ein solcher Ansatz. Nicht mit ihm. In Dubai hat er sich mit seinem Amtskollegen Scheik Mohammed Bin Rashid Al Maktoum und dessen Stabschef Scheik Mohammed Bin Zayed Al Nahan "auf Augenhöhe" über Wirtschaftsfragen, über Fragen von Technologietransfer und "human investment" unterhalten, die Themenpalette reichte schließlich von der Förderung kulturellen Verständnisses bis zur Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen. Ja, auch der Transrapid wurde erwähnt. Wirtschaftsminister Müller, Verkehrsminister Klimmt, sie alle hätten ihren Spaß gehabt. Rüstungsfragen? Scharping schüttelt den Kopf.

Dabei sieht er - nur er? - natürlich das "legitime Sicherheitsinteresse" der Emirate in dieser Krisen- und Kriegsregion, das sich als ein "sehr ausgeprägtes Verständnis von kooperativer Sicherheit" erweise, "weit über das Militärische hinaus". Und die Emirate tun auch ihrerseits etwas dafür. Tausend Soldaten etwa stellen die kleinen Scheichtümer gegenwärtig für die multinationalen Friedenstruppen in Kosovo ab. Das wäre, rechnet General Harald Kujat, der Chef des Planungsstabs vor, als würden sich 35 000 Bundeswehrsoldaten an einer internationalen Truppe beteiligen, wenn im Golf mal wieder etwas anbrennt. Rudolf Scharping mag solche Beispiele, um innenpolitischen Kleinkrämern zu erklären, wie verzahnt die Welt miteinander ist, doch wie wenig das offenkundig wahrgenommen wird. Andere dagegen scheinen verstanden zu haben: Sieben Milliarden Mark gaben die Emirate überdies als Entwicklungshilfe an die ärmsten Länder der Dritten Welt. Die Emirate, sagt ein Kenner der kleinen Wüstenstaaten mit den großen Ölreserven, "sind sich völlig im Klaren darüber, dass Sicherheit nicht bloß militärisch funktionieren kann". Keine Kameltreiber, also. Und außerdem: ein Hort gemäßigter Stabilität in einer Region, in der der Islam ins Fundamentale geht. "Haben Sie schon eine Frau mit Kopftuch hier gesehen?", fragt Scharping in die Runde.

Es kommt schon eine ganze Menge an Argumenten zusammen, um reinen Gewissens nach Hause zurückkehren zu können. Es muss ja nicht immer gleich die Lieferung der Luftwaffe sein, aber warum sollte man den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht im Bereich der ABC-Waffen-Abwehr helfen? Warum nicht bei der Ausbildung von Offizieren? Warum nicht das beginnen, was sich etwas wolkig mit "außen- und sicherheitspolitischer Dialog" beschreiben lässt, letztlich aber nichts anderes als ein Interessen- und Werteabgleich ist. "Kooperation", sagt der Verteidigungsminister, sei schließlich die "bessere Methode als Appell".

Und plötzlich sind da mehr Gemeinsamkeiten, als man auf den ersten Blick vermuten könnte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den VAE - dann etwa, wenn Iran doch irgendwann einmal im Besitz von Trägerraketen sein sollte, "die bis nach Oslo reichen". Gemeinsamkeit schafft eben Nähe, aus Nähe wird Kooperation, und ein Partner, der kooperiert, der behält sein Selbstbewusstsein. Der Argumentationskreis schließt sich. Scharping kann fürs erste zufrieden vom Golf Richtung Ägypten fliegen.

Auf der "Dubai 2000" steht, drei Flugzeuge neben dem Eurofighter, die F-16 der US-Amerikaner. Es soll ein Acht-Milliarden-Dollar-Deal werden. Der Vertrag ist so gut wie unter Dach und Fach. Doch so richtig glücklich sind die Scheiks mit dem Prinzip des Komplettprogramms der Amerikaner nicht. Das, sagt ein deutscher Händler, "nimmt einem alles ab, auch den Einblick". Wieviel anders ließe sich da "auf Augenhöhe" verhandeln. Acht Milliarden Dollar, hat Rudolf Scharping nachgerechnet, das ist das Fünffache des deutschen Außenhandelsvolumens.