Badische Zeitung, 19.11.99

Vor zehn Jahren wurde das "Europäische Komitee zur Verhinderung von Folter" ins Leben gerufen / eine Bilanz

Der lange Kampf um die Einheit der Menschenrechte

Von unserem Korrespondenten Karl-Otto Sattler

STRASSBURG. Ein so komplizierter Name prägt sich nur schlecht ein: "Europäisches Komitee zur Verhinderung von Folter, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Bestrafung". Von dem Anti-Folter-Komitee des Europarats, das die Zustände in den Haftanstalten der 41 Mitgliedsländer überprüft, nimmt die Öffentlichkeit aber vor allem deshalb wenig Kenntnis, weil dieser der Prävention verpflichtete Ausschuss meist hinter den Kulissen auf die Gewährleistung der Menschenrechte hinter Gittern dringt. Heute, am zehnten Jahrestag des Komitees, berät der Europarat in Straßburg in einem Kongress über Folterbekämpfung.

Der Freiburger Jura-Professor und ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für internationales Strafrecht, Günther Kaiser, war bis vor kurzem Mitglied des Anti-Folter-Komitees: "Diese Strategie ist richtig. Nur dieses Kontrollgremium hat einen ungehinderten und umfassenden Zugang zu Haftanstalten, und das wirkt." Ob normale Strafanstalten, Jugendgefängnisse, Polizeistationen, Abschiebeknäste, Arbeitslager, Kasernenzellen: Der Ausschuss mit Medizinern, Juristen und Haftexperten wählt frei aus und kann sich in den Anstalten ungehindert bewegen. Die Regierungen müssen zwar über Visiten informiert werden, der Zeitpunkt bleibt jedoch dem Komitee vorbehalten. Folter im strengen Sinne ist definiert etwa durch Elektroschocks, Schläge auf Fußsohlen, das Aufhängen an Armen und Beinen, Schlafentzug oder lange Dunkelhaft. Lediglich in der Türkei, so Kaiser, stieß man vor Jahren auf solche Praktiken. In einer Polizeidienststelle wurde sogar ein "Verhörraum" dieser Art entdeckt. In anderen Staaten habe man es nur mit Einzelfällen zu tun gehabt, die eher als "Exzess bei Misshandlungen" einzustufen seien.

Aber auch unterhalb der Schwelle der klassischen Folter wird das Europarats-Gremium immer wieder mit menschenunwürdigen Zuständen konfrontiert. In der russischen Untersuchungshaft, so Kaiser, haben Gefangene zum Beispiel keine eigenen Betten und müssen nacheinander schichtweise schlafen, die hygienischen Zustände seien schlecht, die Zellen überbelegt, zudem geht die Polizei mit den Inhaftierten nicht gerade zimperlich um. In der ersten Zeit nach der Festnahme, so Kaiser, werden Menschenrechte am stärksten verletzt - vor allem, wenn Inhaftierten das Recht auf Kontakt mit der Familie oder anderer Vertrauenspersonen, auf Anwälte und auf Ärzte ihrer Wahl verweigert werde.

Generell sind in den ärmeren östlichen Ländern die Haftbedingungen schlechter als in West- und besonders Nordeuropa. Doch auch im Westen, so der Strassburger Ausschuss, in Frankreich, Belgien, Griechenland, Spanien und anderen Staaten, seien die Gefängnisse überbebelegt und die sanitären Verhältnisse mangelhaft: So müssen sich in britischen Zellen mehrere Personen schon mal einen Eimer als Toilette teilen. Selbst Skandinavien hat dunkle Flecken - wegen häufiger Anwendung der Isolationshaft. In Deutschland kritisiert das Komitee vor allem Mängel in den Abschiebestationen der Flughäfen. Berichte an die Regierungen listen die Vorhaltungen und Verbesserungsvorschläge auf, doch die Rapports werden nur mit Zustimmung der jeweiligen Länder publiziert. Manche Staaten seien kooperativ, andere weniger. Aber es seien auch Erfolge zu erzielen, sagt Kaiser. Verbesserungen wurden etwa bei der Ausstattung von Zellen, bei der medizinischen Versorgung oder bei der Betreuung von Ausländern erreicht. Besonders wichtig ist für den Europarat die qualifizierte Ausbildung von Polizisten und Gefängnispersonal. Schwierig durchzusetzen sind dagegen grundlegende Reformen im Polizei- und Justizwesen. In der Türkei, so Kaiser, seien aber bereits "messbare Fortschritte" zu verzeichnen: Auch wenn das Land europäische Standards nicht erreiche, gebe es "keine systematische Folter" mehr.