jw, 19.11.99

Krieg gegen Kurden ausgeblendet

OSZE-Staatschefs stören sich nicht an Ankaras Unterdrückungspolitik. Brief der PKK an Gipfelteilnehmer

Am gestrigen Donnerstag begann in Istanbul das Gipfeltreffen der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Obwohl das letzte Treffen der 54 OSZE-Staaten in diesem Jahrtausend in einem Staat stattfindet, der einen Krieg im eigenen Land gegen die kurdische Bevölkerung führt und in unregelmäßigen Abständen militärische Interventionen im Irak durchführt, dürften der Kurdistan-Konflikt und die Verletzung der Menschenrechte in der Türkei bei diesem OSZE-Treffen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Von kurdischer Seite allerdings gibt es eine Reihe von Bemühungen, diesen Konflikt dennoch auf die Tagesordnung zu setzen.

In einem offenen Brief an die Teilnehmer des Gipfels mahnte der Präsidialrat der PKK, die Chance nicht ungenutzt zu lassen, den Demokratisierungsprozeß innerhalb der Türkei zu unterstützen. Der Weg zu Sicherheit und Stabilität im Mittleren Osten führe nur über die Lösung der kurdischen Frage, heißt es in dem Schreiben: »Es ist die moralische und politische Verantwortung aller Staaten, die am OSZE-Treffen teilnehmen, zu Beginn des 21. Jahrhunderts diesen Mißstand zu überwinden. Unser Volk erwartet von allen Staaten, die am Gipfeltreffen teilnehmen, die Türkei eingeschlossen, ihrer Verantwortung nachzukommen.«

Dazu sei es unter anderem erforderlich, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen. Es sei von großer Bedeutung, daß die Türkei den politischen Willen zu einer Demokratisierung zeige und entsprechende Schritte unternehme. Für eine Lösung des Konflikts sei die Aufhebung der Todesstrafe sowie eine Generalamnestie unumgänglich. Ferner die Aufhebung des Ausnahmezustands in den kurdischen Gebieten. Den vertriebenen Kurdinnen und Kurden müsse die Rückkehr in die zerstörte Heimat ermöglicht werden. »Die Unterstützung der OSZE-Staaten für die Rückkehr der Menschen in ihre Dörfer sowie für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Türkei wird die Lösung dieser Probleme erleichtern.«

Eine Gruppe kurdischer Intellektueller, die sich unter dem Namen Demos zusammengeschlossen hat, nimmt offiziell als NGO an der Konferenz teil. Schon im Vorfeld der Tagung übergaben die kurdischen Oppositionellen dem OSZE-Sekretariat ein Memorandum zur Lösung des Kurdistan-Konfliktes. Verschiedene humanitäre und Menschenrechtsorganisationen aus den USA forderten den amerikanischen Präsidenten Clinton in einem gemeinsamen Schreiben dazu auf, den Gipfel dazu zu nutzen, die Menschenrechtsverletzungen und die Situation von Minderheiten - vor allem des kurdischen Volkes - in der Türkei zu thematisieren. Ferner möge er allen politischen und militärischen Repräsentanten der türkischen Regierung mitteilen, daß die USA keine weiteren Waffenlieferungen an die Türkei durchführen werde, so lange die Frage der Menschenrechte nicht geklärt sei.

Die türkische Regierung indes bewies am Anfang der Woche wieder einmal, daß es mit der inneren Sicherheit nicht gut bestellt ist. Clinton traf bereits am Montag in Ankara ein. Präsident Süleyman Demirel honorierte den Staatsbesuch mit einem Präsent: Am Rande des Gipfeltreffens soll nach jahrelangen zähen Verhandlungen ein Vertrag über den Bau einer Öl- und Gaspipeline zwischen der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku und dem türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan unterschrieben werden. Das hört der Amerikaner gern, schließlich ist diese Pipeline ein weiterer Schlüssel zum Glück für die amerikanischen Ölmultis. So bekommen sie Zugang zu dem Ölreichtum des Kaspischen Beckens, ohne sich mit den Regierungen Rußlands oder des Iran herumschlagen zu müssen. Eine Protestdemonstration gegen den Besuch Clintons trübte jedoch die Freude. Prompt ließ Demirel die friedlichen Demonstranten zusammenknüppeln und mehr als hundert Menschen verhaften.

Das veranlaßte den ehemaligen amerikanischen Justizminister Ramsey Clark dazu, einen Protestbrief an die türkische Regierung zu schicken. Es gebe eine Menge Gründe, so Clark, gegen den US-Präsidenten zu demonstrieren. Beispielsweise die Bombardierung Jugoslawiens oder die wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Irak. In den USA hätten während des Jugo-slawien- Krieges Zehntausende gegen die Politik Clintons demonstriert, ohne deswegen verhaftet worden zu sein. Das brutale gewaltsame Vorgehen der türkischen Polizei gegen die Demonstrantinnen und die Verhaftung von mehr als einhundert Menschen habe großes Aufsehen in den USA erregt. Abschließend fragt er: »Warum war es notwendig für die türkische Regierung, sich dermaßen vor der gesamten Welt zu entblößen, indem sie Bürger ihres Staates einsperren ließ, die nichts anderes taten, als friedlich gegen die Präsenz Bill Clintons und die Politik, die er repräsentiert, zu demonstrieren?«

Birgit Gärtner