sz, 18.11.99

Istanbul räumt auf

In der Stadt werden Hotels entkernt und Hunde abgeknallt

Für den Fall, dass es während ihres Treffens zu größeren Kalamitäten - zum Beispiel einem Erdbeben - kommt, sollten sich die im Ballsaal des Istanbuler Ciragan-Palastes versammelten 54 Staats- und Regierungschefs an ihren russischen Kollegen Boris Jelzin halten. Immerhin hat der Kremlchef die Blutgruppe Null negativ, und käme daher als Spender für alle Staatsmänner in Frage. Die Blutgruppe Jelzins und all der anderen sind das vorerst letzte Detail, das die türkische Öffentlichkeit über die Gipfelkonferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erfuhr. Die Botschaft lautet: Wir haben alles im Griff, selbst Katastrophen werden wir locker meistern.

Nie zuvor hat die Türkei ein ähnliches internationales Großereignis ausgerichtet. Zum OSZE-Gipfel werden mehr als 6000 Menschen aus 60 Ländern erwartet, darunter eben 54 Spitzenpolitiker und etwa 2000 Journalisten. Umso erstaunlicher ist es, dass der normalerweise auf seine Autorität erpichte türkische Staat einen Großteil der Organisation privaten Unternehmen überlassen hat. So kümmert sich ein Konsortium aus vier Reiseunternehmen um das Wohl der Delegationen, Mercedes spendiert Limousinen und Busse, Xerox übernimmt die zwei Millionen Fotokopien und das Management des Kempinski-Hotels Ciragan darf die Tagung selbst ausrichten.

Stuck-Regen von der Decke

Peter Tischmann und Thomas Klippstein, die deutschen Manager des edlen Fünf-Sterne-Hotels am Ufer des Bosporus können ihre Zufriedenheit über die weltweite kostenlose Publicity für ihr Haus schlecht verbergen. "Es geht uns gut", sagt Tischmann, "wenn es uns noch besser ginge, dann wäre das fast schon unanständig." Der Ciragan-Palast, der zu dem Hotel gehört, wurde als Veranstaltungsort gewählt, weil es in Istanbul offenbar an vergleichbar festlichen Örtlichkeiten mangelt. Zeitweise war geplant, zumindest das Gala-Diner im monströsen Dolmabahce-Palast auszurichten. Doch das Erdbeben vom August hatte Risse in die Wände getrieben und den Stuck von den Decken regnen lassen. Aus Sorge um das Wohl der hohen Gäste nahm man Abstand von der Idee.

Sicherheit steht ohnehin im Mittelpunkt der zweitägigen Veranstaltung. Für die gesamte Istanbuler Polizei wurde eine Urlaubssperre verhängt; zusätzliche Sicherheitskräfte sollen aus anderen Landesteilen an den Bosporus verlegt werden. Das Stadtzentrum wird für die Dauer der Konferenz für den Verkehr gesperrt, was den Staus in den anderen Teilen der Stadt eine bislang unerreichte Qualität verleihen dürfte. Sicherheitshalber werden für die Dauer des Gipfels 128 Schulen geschlossen, die innerhalb der verbotenen Zone liegen und deshalb ohnehin unerreichbar wären.

Verdächtige Zwiebeln

Wenn es um das Wohlergehen ihres Präsidenten geht, lassen sich die Amerikaner von niemandem übertreffen - und schon gar keine Ratschläge erteilen. Schon vor Wochen traf eine Vorhut von Agenten des Secret Service ein. Inzwischen sollen es 900 amerikanische Sicherheitsleute sein, die das Kommando übernommen und alles umgekrempelt haben. Im Conrad-Hotel, wo Clinton samt Entourage wohnen wird, haben diese Experten keinen Stein auf dem anderen gelassen. Fassungslos erzählten Hotelmitarbeiter, dass die Leute aus den Staaten alle Telefon- und Stromleitungen herausgerissen und durch amerikanische Kabel ersetzt haben. Genau betrachtet seien nur die Außenmauern unverändert geblieben. Einen Vorgeschmack erhielten die Angestellten bei einem Blick nach Ankara, das Clinton vor dem OSZE-Gipfel besuchte. Im dortigen Hilton-Hotel, seinem Wohnquartier, wurden am Kücheneingang sogar Zwiebeln und Fische mit Metalldetektoren überprüft.

Alles soll perfekt sein, und da wollen die türkischen Behörden nicht zurückstehen. Schließlich sollen die Gäste das makellose Bild einer modernen Türkei erhalten. Vorsorglich wurden daher Bettler aus dem Zentrum vertrieben, wichtige Straßen geschrubbt und streunende Hunde abgeknallt. Sehr modern ist das jedoch nicht. Ein großes Hundesterben gab es bereits vor hundert Jahren, als Kaiser Wilhelm II. dem Sultan Abdülhamit seine Aufwartung machte.

Wolfgang Koydl