Die Presse (Wien), 17.11.99

Gefährdet die nächste Bebenwelle Istanbul?

Experten gehen der Frage der Gefährdung Istanbuls nach. Im Bebengebiet verschlimmert indessen Frost die Lage.

ISTANBUL/SAN FRANCISCO/WIEN (ag.). Minustemperaturen und Regen haben am Dienstag die Situation für die Opfer des jüngsten Erdbebens in der Türkei verschlimmert. Zwar wurden Tausende Zelte geliefert, doch viele Menschen sitzen noch immer auf der Straße. Bis gestern wurden 547 Tote und 3300 Verletzte geborgen. Da es kaum mehr eine Chance gibt, unter den Trümmern noch Lebende zu finden, kehrten die Hilfsmannschaften von Österreichischem Roten Kreuz und Bergrettungsdienst mit ihren Suchhunden nach Wien zurück. Nachbeben brachten sie oft in prekäre Situationen. Vor dem Hintergrund dieser teils heftigen Erderschütterungen wächst in Istanbul die Angst vor einem starken Beben. Experten halten dies für möglich. Der US-Geophysiker Nafi Toksoz sieht zwar keine unmittelbare Gefahr, doch eine "signifikante Chance", daß es in etwa 30 Jahren in der Millionenstadt zu einer Katastrophe kommt. Ähnlich argumentiert sein Kollege Ross Stein: "Seit 17. August sind die Chancen auf ein Erdbeben in Istanbul größer." Die 1000 Kilometer lange nordanatolische Falte mündet nur 25 Kilometer südlich von Istanbul ins Marmarameer.