Lausitzer Rundschau, 17.11.99

Bei Eiseskälte im Freien ausharren

Helfer reisen ab / Protest wegen Benachteiligung (AP/ADN/AFP/daa).

Aus Protest gegen die angebliche Benachteiligung ihrer Stadt bei der Erbebenhilfe haben gestern tausende Einwohner von Bolu vorübergehend die Autobahn zwischen Istanbul und Ankara besetzt. Nach Polizeiangaben blockierten rund 5000 Demonstranten die stark befahrene Ost-West-Verbindung für eine Stunde und verursachten einen mehrere Kilometer langen Stau. Sie protestierten damit dagegen, dass die Hauptstadt der gleichnamigen türkischen Provinz gegenüber anderen Orten wie Düzce benachteiligt worden sei. Der Gouverneur der Provinz Bolu erklärte nach vorläufigen Ermittlungen seien mindestens 300 Gebäude eingestürzt sind. Rund 80000 Menschen seien obdachlos.Mehr als 500 ToteDie Zahl der Toten ist auf mindestens 547 gestiegen, wie die Regierung gestern mitteilte. Es gibt praktisch keine Hoffnung mehr, noch Überlebende zu finden, zumal die Temperaturen am Abend immer in den Minusbereich sinken. Da es weiter nicht genug Zelte und andere Notunterkünfte gibt, müssen viele Menschen bei der Eiseskälte im Freien ausharren. US-Präsident Bill Clinton besuchte gemeinsam mit seiner Frau Hillary und Tochter Chelsea die Zeltstadt in Dogukisla, in der rund 9000 Menschen eine Notunterkunft gefunden haben. Die USA kündigten die Entsendung von rund 500 Großraumzelten an, in denen insgesamt 10000 Menschen überwintern können. Auch in der Nacht zum Dienstag setzten rund 10000 Rettungsleute ihre Suche nach Überlebenden fort. Sie hatten jedoch kaum noch Hoffnungen, Menschen lebend aus den Trümmern bergen zu können. Viele Helfer aus dem Ausland haben die Region bereits verlassen. Dennoch begann eine österreichische Suchmannschaft gestern, in einem eingestürzten Einkaufszentrum nach Opfern zu suchen. Da sollen sich 20 Vermisste befinden, sagte die Ärztin Anne Roth. Angesichts der eisigen Temperaturen von bis zu minus fünf Grad gaben Ärzte den Verschütteten eine Überlebenschance von 72 Stunden. Diese Frist war am Montag abend abgelaufen. In Düzce und anderen Orten der Erdbebenregion mussten zahlreiche Menschen bereits die vierte Nacht in Folge im Freien verbringen. Viele von ihnen hatten nicht einmal ein Zelt. Heftige Regenfälle erschwerten noch zudem gestern ihre Lage. Auch in Istanbul campierten mehrere Bewohner aus Angst vor einem Beben die Nacht über in öffentlichen Parks und Gartenanlagen. Schröder zeigt Mitgefühl Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat ein Kondolenzschreiben an den türkischen Premierminister Bülent Ecevit gerichtet. Darin bekräftigt Schröder, dass sich die Türkei weiter auf die Solidarität Deutschlands verlassen könne. Das Mitgefühl gelte in diesen schweren Stunden den betroffenen Menschen in Düzce und Umgebung, heißt es in dem Schreiben.