Schaffhauser Nachrichten, 29.10.99

Die türkische Armee will für 50 Milliarden aufrüsten

Der geplante Kauf von 1000 Panzern ist das grösste Waffengeschäft der Landesgeschichte. Doch die Türkei will mehr: Raketen, Fregatten, Helikopter.

Von Frank Herrmann

General Cevik Bir nahm kein Blatt vor den Mund. Im 21. Jahrhundert habe die Türkei eine neue Mission zu erfüllen, sagte er seinen Zuhörern diese Woche im Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington. Im mittelöstlichen Krisenbogen müsse sein Land die regionale Führung übernehmen. Bir war eine Zeitlang stellvertretender Generalstabschef der Armee. Im September ging er in den Ruhestand. Worüber seine Kollegen in Ankara nur ungern in der Öffentlichkeit reden - der Pensionär spricht es aus.

Niemand widerspricht Militärs

Das ehrgeizige Rüstungsprogramm der Türkei orientiert sich an der von ihm beschworenen neuen Mission. Bis 2007 sollen 50 Milliarden Franken in moderne Waffen gesteckt werden, bis 2025 sogar 220 Milliarden. Wie das hoch verschuldete Land die Rechnung bezahlen soll, weiss niemand. Im Moment gehen etwa 40 Prozent der Haushaltseinnahmen für Zinszahlungen drauf. Eine öffentliche Debatte gibt es jedoch nicht. Was die Armee entscheidet, wird von der Politik nicht in Frage gestellt. Die meis-ten Türken finden das durchaus in Ordnung. Aus allen Umfragen gehen die Streitkräfte als populärste Institution hervor. «Politiker gelten als korrupt, Offiziere als sauber», erklärt der Kolumnist Mehmet Ali Birand das Phänomen.

Mit ihrem Crashprogramm werde die Republik am Bosporus zum grössten Waffenimporteur der Nato, resümiert das Fachmagazin «Middle East». Von der Personalstärke her unterhält die Türkei nach den USA schon jetzt die zweitgrösste Armee des Pakts. Das Heer zählt 520 000 Mann, die Marine 64 000, die Luftwaffe 56 000. Auf der Einkaufsliste stehen Panzer und Kampfhubschrauber, Raketen, Fregatten und Minensuchboote. Die Marine will in zwei Jahren ihren ersten Flugzeugträger im Mittelmeer kreuzen lassen.

Das Panzergeschäft gilt nicht nur als grösster Einzelposten des Modernisierungspakets, sondern auch als teuerster Rüstungsauftrag der türkischen Geschichte. Für rund elf Milliarden Franken sollen 1000 neue Kampfpanzer erworben werden. Vier Anbieter rechnen sich Chancen aus: der Münchner Krauss-Maffei-Konzern mit dem Leopard II, die US-Firma General Dynamics mit dem Abrams M1A2, die französische Giat mit dem Leclerc und das ukrainische Unternehmen Ukrspezexport mit einer neuen Version des sowjetischen T-80.

Die Deutschen hätten mit ihrem Koalitionsstreit einen «sehr schlechten» Start hingelegt, zitierte die Zeitung «Turkish Daily News» einen nicht näher benannten hohen Beamten. Wenn sie Probleme hätten, werde man sich eben einem «verlässlichen Partner» zuwenden.

Israel nimmt keine Rücksicht auf Menschenrechtslage

Traditionell führen die USA und Frankreich die Liste der Waffenlieferanten an. Es folgen Deutsche, Russen und Spanier. Stark im Kommen ist Israel. Vor drei Jahren schlossen Ankara und Jerusalem ihr erstes Militärabkommen. Seitdem dürfen israelische Piloten im anatolischen Luftraum trainieren, die Israel Aircraft Industries modernisierte für 1,2 Milliarden Mark Kampfjets vom Typ F-4. Weitere Grossaufträge sollen folgen. Unter anderem wollen die Israelis Raketen des Typs Popeye, fliegende Frühwarnsysteme, Kampfhubschrauber und Satelliten- Kommunikationstechnik verkaufen. Anders als die Europäer stellt der neue Verbündete keine kritischen Fragen nach Menschenrechten und dem Kurdenkonflikt. Vielmehr sieht er die Türkei als strategische Verbündete in potenziellen Konflikten mit der arabischen Welt oder Iran.

Ob Ankara auch Chemiewaffen produziert, ist nicht bekannt. Nach Angaben des kurdischen Publizisten Celadet Celiker soll die türkische Armee 1991 in vier nordirakischen Ortschaften Giftgas gegen die PKK-Guerilla eingesetzt haben. Aus unabhängiger Quelle wurde dies aber nicht bestätigt. Die prokurdische Zeitung «Özgür Politika» zitiert eine geheime Direktive der Streitkräfte von 1986. Danach dürften, «wenn notwendig», auch chemische Waffen gegen die Freischärler eingesetzt werden.