Kölner Stadtanzeiger, 29.10.99

Europa-Debatte

Fischer ging auf den Testpanzer nicht ein

CDU: Niederlage in der Türkei-Politik

Von Joachim Frank

Kaum ein Platz ist so öffentlich wie die Regierungsbank im Bundestag. Deshalb eignet sie sich auch so gut für bildhafte Botschaften aller Art. Die demonstrative Umarmung Gerhard Schröders (SPD) mit dem angeblich auf einen Kanzler-Sturz sinnenden Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) ist noch unvergessen; Untertitel: Seht her, wir sind die besten Freunde!

Gestern nun steckten Schröder und sein Außenminister in der Debatte über den EU-Sondergipfel im finnischen Tampere die Köpfe zusammen. Gestenreich redete der Kanzler auf Joschka Fischer (Grüne) ein. Der hörte mit interessiertem Blick über die Brille zu, signalisierte Aufmerksamkeit bis in die Fingerspitzen.

Während die Opposition den Außenminister wegen der Affäre um die Lieferung eines Testpanzers an die Türkei scharf angriff und Fraktionsvize Jürgen Rüttgers (CDU) die Türkei-Politik Fischers als "Trümmerhaufen" bezeichnete, musste das Tete-a-tete Schröder-Fischer wie das unausgesprochene Dementi eines gestörten Vertrauensverhältnisses wirken.

Fischer vermied es sorgfältig, auf die Panzerlieferung an den Nato-Partner Türkei einzugehen, gegen die er sich im Bundessicherheitsrat vergeblich gewandt hatte, wo er vom Kanzler aber überstimmt worden war. Genau dies hielt ihm Rüttgers genüsslich als "verheerende Niederlage" vor. Man könne nicht die Türkei zum offiziellen EU-Beitrittskandidaten befördern und sie gleichzeitig für nicht vertrauenswürdig genug halten, ihr "einen Testpanzer zu übersenden".

Der Außenminister verteidigte gleichwohl das Ziel, der Türkei den EU-Kandidatenstatus zu verleihen. Menschenrechte, Demokratie und innere Reformen in dem Land könnten gefördert werden, wenn die Türkei "aus der Isolation herausgeholt" werde. Bedingung für einen EU-Beitritt sei die Beachtung der Menschenrechte. Das, so Fischer, sei keine "Lex Türkei", sondern gelte für alle.

In der Bewertung des Tampere-Gipfels klafften Abgründe zwischen Regierung und Opposition. "Viel war ja nicht", mäkelte Rüttgers, was Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) als Ausdruck "teutonischer Arroganz" gegenüber den anderen EU-Mitgliedern zurück wies. Sie nannte das Gipfeltreffen vielmehr einen "Erfolg für das Europa der Bürger und des Rechts". Die Regierung räumte ein, dass eine gesamteuropäische Lastenverteilung bei der Aufnahme von Flüchtlingen noch aussteht.

Das große Projekt, einen einheitlichen Rechtsraum mit gemeinsamen Standards zu schaffen, bezeichnete Fischer als einen "langen Marsch der Arbeit". Mit einem Zitat des SPD-Veteranen Carlo Schmid gab Däubler-Gmelin die Richtung an: "Wenn Europa werden soll, muss man aufs Ganze gehen." KStA