fr, 29.10.99

Kommentar: Hartherzig und realistisch

Otto Schily ist skeptisch, ob die gegenwärtige deutsche Rechtslage ausreichend zwischen Asylsuchenden, Bürgerkriegsflüchtlingen und Migranten unterscheidet

Von Helmut Lölhöffel

"Otto greift an". Dieser Werbespruch für ein Zeitungsinterview führt in die Irre. Wer ist gemeint? Otto Rehhagel? Kaum möglich. Der 1. FC Kaiserslautern tut sich derzeit schwer mit seinem Angriff. Nein, es handelt sich um ein Interview mit Bundesinnenminister Otto Schily in der Wochenzeitung Die Zeit. Forsch formuliert, stellenweise hartherzig, aber wohl durchdacht, ehrlich und realistisch. Manche seiner Aussagen werden auf Widerspruch stoßen, besonders bei Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, aber sicher auch bei den Grünen. Neuer Koalitionskrach ist absehbar.

Schily stößt eine Debatte an, die erst in einigen Jahren akut wird, wenn es um ein EU-Asylrecht geht. Er stellt die Frage, ob die deutsche Verfassung "die ideale Lösung" sei und fordert: "Kein Denkverbot." Denn er ist skeptisch, ob die gegenwärtige deutsche Rechtslage ausreichend zwischen Asylsuchenden, Bürgerkriegsflüchtlingen und Migranten unterscheidet. Es ist vernünftig, dass Schily dies aufwirft, auch wenn er sich Ärger einhandelt. Denn dass die anderen EU-Staaten die deutsche Rechtswegegarantie übernehmen, ist unvorstellbar. Trotzdem würde es sich lohnen, dafür einzutreten.

Auch mit dem Start der Zwangsrückführung von Kosovo-Albanern wird Schily wütende Reaktionen auf sich ziehen. Unter Druck von Länder-Innenministern, darunter auch sozialdemokratischen, lässt er erste Gruppen abschieben. Die Hoffnung, dass ihnen freiwillige Rückkehrer folgen, ist ebenso berechtigt wie der Hinweis darauf, dass es rücksichtsvoll gewesen wäre, den Winter abzuwarten.