fr, 29.10.99

Zwischen Profil-Anforderung und Panzer-Deal liegt Fischers Dilemma

Opposition beendet Schonzeit für den Vorzeige-Grünen und erklärt ihn nach dem Türkei-Streit für "angeschlagen"

Von Richard Meng (Berlin)

Vor ein paar Wochen noch schien es der rot-grünen Koalition wie ein Rettungsanker, dass der Außenminister sich wieder stärker um die Innenpolitik kümmern wollte. Nun bekommt Joschka Fischer die innenpolitischen Nervositäten an eigener Person zu spüren - und auch die Opposition beendet ihre Schonzeit für den grünen Star.

Als die CDU-Außenpolitiker dieser Tage eine Zwischenbilanz nach einem Jahr Rot-Grün zogen, wurde Fischer von Kritik noch weitgehend ausgenommen. Das war Taktik, weil man lieber Kanzler Gerhard Schröder geprügelt hätte. Nun wird die Taktik geändert, und es sind ausgerechnet Ex-Minister aus der Kohl-Ära, die Fischer bescheinigen, er sei "angeschlagen" - so CDU-Mann Jürgen Rüttgers am Donnerstag im Bundestag; oder: Fischers Problem sei, dass er "Angst" vor einer konsequenteren Politik habe - so Vorgänger Klaus Kinkel (FDP).

Das Gerangel um das Osttimor-Mandat für eine Sanitätseinheit der Bundeswehr und der Streit über den Testpanzer für die Türkei haben Fischers Souveränität angekratzt. Nun wird ihm aber nicht nur mangelndes politisches Gespür in diesen beiden Konflikten angelastet, sondern auch anderweitige Mängel in der Außenpolitik, etwa bei den nach wie vor mühsamen deutsch-französischen Beziehungen, die freilich schon unter Kohl oft in Routine erstarrt waren. Fischer selbst sieht dahinter auch den Mechanismus, wonach Lieblinge der Medien bei nächster Gelegenheit von denselben Medien gerne wieder "heruntergeschrieben" werden. Der neue Blick auf Fischer hat aber auch viel mit der Existenzkrise seiner Partei zu tun: Noch selten hat es ein Politiker mit Regierungsverantwortung in Kernfragen lange geschafft, persönliche Sympathiewerte dauerhaft über denen seiner Partei zu halten.

Seit er Außenminister ist, hat Fischer den Ausgleich mit Kanzler Schröder gesucht und dabei auch laviert, weil er von demonstrativen Erfolgen der Grünen über den Kanzler wenig hält. Dass ein Scheitern Schröders, dessen inhaltliche Schwächen er wohl stets gesehen hat, den Machtverlust nach sich zöge, gehört zu Fischers Grunderkenntnissen. Also hat er im Hintergrund versucht, Schrödersche Politik für Grüne tolerabel zu machen; das galt so lange als Klugheit, bis beim Thema Waffenexport nun das Sowohl-als-Auch nicht mehr funktionierte, und der Spagat als Opportunismus erschien.

Seine Leistung im ersten Amtsjahr, die Beendigung des Kosovo-Krieges dadurch zu ermöglichen, dass die Vereinten Nationen wieder ins Spiel gebracht wurden, wird auch von der Opposition anerkannt. Schon beim Osttimor-Mandat aber gab es im Bundestag bis weit in die SPD hinein Abgeordnete, die meinten, der populäre Fischer habe "abgehoben", und man müsse ihn nach dem Motto "Hochmut kommt vor dem Fall" erst einmal dringend auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Sein Dilemma im Türkei-Konflikt ist, dass die Grünen jetzt mehr Profil erwarten, der Kanzler aber - aus Fischers Sicht eher schlecht kalkulierend - glaubte, den Panzerexport durchziehen zu müssen. Damit wurde Fischers Spagat in seinen Widersprüchen erstmals deutlich und er als Minister angreifbar.

Fischer könne "offensichtlich nicht regieren", höhnt Rüttgers und nennt die Außenpolitik forsch einen "Trümmerhaufen". Soviel Überzeichnung sorgt im Parlament allemal für rot-grünen Schulterschluss. Die Schlüsselrolle Fischers für den Zusammenhalt der Koalition bleibt bestehen. Aber der Sockel, auf dem die Schlüsselfigur steht, ist jetzt niedriger.