nzz, 28.10.99

Weitere griechisch-türkische Annäherung

Athen verlangt Vorleistungen für einen EU-Beitritt Ankaras

Der griechische Aussenminister Papandreou und sein türkischer Amtskollege Cem haben am Rande einer Konferenz der Schwarzmeer-Anrainerstaaten in Saloniki Gespräche geführt und dabei Bilanz über die jüngste Annäherung gezogen. Athen verlangt Vorleistungen für seine Zustimmung zur Aufnahme der Türkei in den Kreis der EU-Beitritts-Kandidaten.

H. G. Athen, 27. Oktober

Die griechisch-türkische Annäherung hat am Mittwoch auch das Aussenministertreffen des Rates der Schwarzmeer-Anrainerstaaten in Saloniki beherrscht. Der griechische Gastgeber der Konferenz, Aussenminister Georgios Papandreou, und sein türkischer Amtskollege Ismail Cem nutzten das Treffen, um Bilanz zu ziehen über den Stand der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Während einer Verhandlungspause verteidigte der türkische Aussenminister in einem Pressegespräch die bisherige Politik der schrittweisen Annäherung. Athen und Ankara seien auf dem richtigen Weg, und sie könnten schon bald auch wichtige Themen anpacken. Als solche Themen betrachtet Ankara in erster Linie die Regelung der Lufthoheit im Ägäischen Meer, die Abgrenzung des Festlandsockels in der Ägäis und die Frage der territorialen Zugehörigkeit einer Reihe von kleinen und unbewohnten Inselchen. Was die Zypern-Frage betrifft, so hatte die Türkei zuletzt das Problem mit der Teilung der Insel als gelöst bezeichnet. Für Athen hingegen hat die Wiedervereinigung höchste Priorität.

Der griechische Aussenminister Papandreou erklärte anschliessend, Athen werde am EU-Gipfel in Helsinki der Aufnahme der Türkei in den Kreis der Beitrittskandidaten nicht vorbehaltlos zustimmen. Griechenland verlange Vorleistungen. Es gehe nicht um Vorbedingungen, sondern darum, dass die Türkei von Anfang an Zeichen setze, die von ihrer europäischen Gesinnung zeugten. Dazu gehörten Verständigungsbereitschaft und die Achtung der Menschenrechte, zu denen auch die Religionsfreiheit zähle. In der Umgebung des Aussenministers wird damit gerechnet, dass das türkische Parlament seine vor Jahren ausgesprochene Kriegsdrohung im Fall einer Ausweitung der griechischen Hoheitsgewässer in der Ägäis auf zwölf Seemeilen zurücknimmt. Athen habe ohnehin nicht die Absicht, so sagte Papandreou, diesen Schritt im Alleingang zu tun.

Als weitere türkische Geste guten Willens erwarten griechische Diplomaten die Wiedereröffnung der orthodoxen Theologischen Hochschule von Chalki auf der Insel Heybeli bei Istanbul. Diese war 1971 vom Unterrichtsministerium in Ankara geschlossen worden. Ein solches Entgegenkommen sei auch deshalb wahrscheinlich, weil es Ankara nichts koste und zu nichts verpflichte. Auch Präsident Clinton und Aussenministerin Albright hatten jüngst gefordert, dass Ankara die Ausbildung griechisch-orthodoxer Geistlicher in der Türkei ermöglichen solle.

Die beiden Aussenminister beschäftigten sich bis am späten Nachmittag mit einer Fülle von Einzelfragen, um die Annäherung zwischen den beiden Staaten weiter voranzutreiben. Als Grundlage diente ein Zwischenbericht über den bisherigen Verlauf der Ende Juli aufgenommenen Konsultationen auf der Ebene von Diplomaten und Experten über eine engere wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit, über eine gemeinsame Strategie bei der Bekämpfung des Terrors, des Drogen- und Menschenhandels sowie der illegalen Wanderbewegungen.