Spiegel online, 26.10.99

Ströbele will Panzer-Debatte "am Kochen halten"

Nach tagelangem Streit und Gerede um den Fortbestand der rot-grünen Koalition jetzt der Kompromiss an der Panzer-Front. Der Königsweg aus dem Dilemma? SPIEGEL ONLINE sprach mit Hans-Christian Ströbele, Grünen-Bundestagsabgeordneter.

SPIEGEL ONLINE: Herr Ströbele, die Türkei bekommt ihren Testpanzer, über die weiteren Lieferungen wird später entschieden, ansonsten richtet man eine Kommission ein. Macht Sie der Kompromiss, der im Koalitionsausschuss vereinbart wurde, glücklich?

Ströbele: Glücklich macht mich das überhaupt nicht. Aber ich denke, dass diese Verhandlungen gestern für die Grünen auch einen Erfolg gebracht haben. Zwar können wir die Lieferung des einen Testpanzers nicht verhindern - was im übrigen auch nicht zu erwarten war, nachdem vorher die klare Entscheidung getroffen wurde und das dann zu einer Prestigeangelegenheit hochstilisiert worden ist. <Bild: Hans-Christian Ströbele>© APHans-Christian StröbeleDoch dieser eine Panzer wäre ja auch nicht das Schlimme. Denn was wir letztlich verhindern wollen, ist die Lieferung der tausend zusätzlichen Kampfpanzer, die möglicherweise auch im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt werden. Dieses Ziel haben wir zwar noch nicht erreicht, doch wir sind ihm ein Stück näher gekommen.

SPIEGEL ONLINE: Wie?

Ströbele: Indem wir vereinbart haben, nicht nur eine Kommission einzusetzen, sondern in allernächster Zeit auch die Richtlinien für den Rüstungsexport zu verändern. Zentraler Punkt: Bei Rüstungsexporten soll künftig die Menschenrechtsfrage entscheidend sein.

SPIEGEL ONLINE: Dass sich die Differenzen zur Krise aufschaukelten ist das nicht auch ein Beleg für eher schlechtes Krisenmanagement?

Ströbele: Ich sehe in der öffentlichen Auseinandersetzung einen großen Vorteil. Zum einen haben wir wieder eine Sensibilisierung bei den Grünen erreicht. Wie auch bei der SPD. Und die Frage der Rüstungslieferungen ist wieder zu einem zentralen Thema geworden. Ich denke, da müssen wir jetzt weitermachen. Wir als Grüne können uns natürlich nicht mit dieser Beschlusslage zufrieden geben. Sie eröffnet aber die Möglichkeit, dass wir in Zukunft die Lieferung der tausend Panzer verhindern können. Nur, ob diese Möglichkeit genutzt wird, das hängt an uns. Und deshalb bin ich dafür, dass wir die Öffentlichkeitskampagne weiterführen und die Frage mit befreundeten Gruppen und Institutionen am Kochen halten. Damit würden wir dann die Grundlage schaffen für einen letztendlichen Erfolg. Das heißt, Ablehnung des Panzergeschäfts in zwei Jahren.

SPIEGEL ONLINE: Denken Sie wirklich, dass es bei einem möglichen Interessengesetz Arbeitsplätze oder Menschenrechte ein Jahr vor der Bundestagswahl zum großen rot-grünen Streit kommen würde?

Ströbele: Für mich und für die Grünen würde diese Entscheidung feststehen. Wenn dann Menschenrechte in der Türkei immer noch mit Füßen getreten werden, wenn immer noch auf grausamste Art und Weise ein Bürgerkrieg gegen die Kurden geführt wird, dann könnte die Entscheidung nur heißen: Menschenrechte gehen vor. Verhinderung einer Ausweitung dieses Krieges geht vor. Ergo: Wir liefern die Panzer nicht. Auch wenn die Entscheidung dann vielleicht schmerzhaft wäre, weil Arbeitsplätze gefährdet werden könnten. Es ist für mich ein völlig unerträglicher Gedanke, und ich glaube, es geht den meisten so, dass wir dann im Fernsehen Bilder sehen, wie der von uns gelieferte Leopard II ein kurdisches Dorf zusamenschießt.

SPIEGEL ONLINE: Und wenn andere das Argument Arbeitsplätze höher schätzen?

Ströbele: Für die Zukunft ist es für uns ein ganz wichtiger Punkt, dass der kleinere Koalitionspartner in zentralen Fragen nicht überstimmt wird. Wir haben zwar kein formales Veto-Recht eingeführt. Aber es wurde im Koalitionsausschuss klargestellt, dass wichtige Punkte, die im Sicherheitsrat oder auch im Kabinett besprochen werden, nicht mit Mehrheit abgestimmt werden können. Sondern dass sie im Koalitionsausschuss, wo sich die Partner gleichberechtigt gegenübersitzen, geklärt werden müssen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie den Streit über den Panzer im Rückblick betrachten: Was vermuten Sie, welchen Eindruck die Wähler über die Grünen gewonnen haben?

Ströbele: Ich hoffe einen positiven. Mein Eindruck ist, dass bündnisgrüne Fraktion wie auch Parteivorstand noch nie so geschlossen hinter ihrem Außenminister und hinter ihrer Politik standen wie in diesem Fall. Und wir haben gezeigt, dass wir in der Lage sind, etwas zu erreichen. Auch als kleinerer Partner in der Koalition.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie das erste rot-grüne Regierungsjahr betrachten, wie erfolgreich war der kleine Partner da?

Ströbele: Naja, wenn ich mich an die Auseinandersetzung über die Altautoverordnung erinnere oder an den Atomstreit, dann gab es Situationen, wo die Grünen sehr viel weniger geschlossen waren, und wo sie sich vom größeren Koalitionspartner sehr viel mehr die Butter vom Brot nehmen ließen. Ich hoffe, daraus lernen wir. Denn wenn wir zusammenstehen, dann können wir auch in schwierigen Fragen in Zukunft wieder erfolgreich sein.

Das Interview führte Rita Kohlmaier