nzz, 27.10.99

Schadensbegrenzung im Berliner Koalitionsstreit um einen Panzer

Die deutschen Regelungen für Rüstungsexporte sollen überarbeitet werden

Spitzenvertreter des rot-grünen Regierungsbündnisses haben am Montag abend in Berlin einen Kompromiss im Streit um die Lieferung eines deutschen Panzers zu Testzwecken an die Türkei gefunden. Die im Bundessicherheitsrat gegen die Stimme von Aussenminister Fischer getroffene Entscheidung wird nicht revidiert, zugleich sollen aber die Bestimmungen für Rüstungsexporte überarbeitet werden.

eg. Berlin, 26. Oktober

Die SPD und die Grünen haben sich am Montag abend an einer Sitzung des Koalitionsausschusses in Berlin bemüht, die jüngste Auseinandersetzung innerhalb des Regierungsbündnisses zu entschärfen. Die Grünen hatten in den letzten Tagen massiv gegen die Entscheidung Front gemacht, der Türkei einen Panzer des Typs Leopard 2 zu Testzwecken zu überlassen. Sie stilisierten die Panzerlieferung zu einer Existenzfrage der Koalition und drohten in verklausulierter Form mit einem Bruch der rot-grünen Allianz.

Festhalten am ursprünglichen Beschluss

Nachdem die Profilierungsversuche der durch mehrere Wahlniederlagen verunsicherten Grünen und die überspitzte Rhetorik einiger ihrer Spitzenfunktionäre zu einer gereizten Stimmung geführt hatten, suchte die Koalitionsrunde einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss. Man kam überein, die Kriterien für Rüstungsexporte zu überarbeiten; an den entsprechenden Beratungen im Bundessicherheitsrat - einem Kabinettsausschuss - sollen die Koalitionsparteien und deren Parlamentarier beteiligt werden. Anderseits wurde der Entscheid, einen Panzer an die Türkei zu liefern, nicht revidiert. Vertreter der Grünen unterstrichen am Dienstag jedoch, sie hielten den ursprünglichen Beschluss weiterhin für falsch. Über den eventuellen Verkauf grösserer Stückzahlen von Leopard 2 an die Türkei werde auf Grundlage der verschärften Richtlinien entschieden. Unter den gegenwärtigen Menschenrechtsbedingungen in der Türkei seien Rüstungsexporte dorthin undenkbar, sagte die Co-Parteivorsitzende Röstel. Ankara beabsichtigt, 1000 Panzer zu erwerben, und hat deswegen zur Erprobung zunächst einzelne Exemplare der in Frage kommenden Modelle bestellt. Dies bedeutet jedoch keine Vorentscheidung für das eigentliche Rüstungsgeschäft.

Die Grünen haben seit je für eine möglichst restriktive Linie bei Rüstungsexporten plädiert; so wurde im Koalitionsvertrag auf ihren Wunsch festgehalten, dass Waffenlieferungen von der Menschenrechtssituation im potentiellen Empfängerland abhängig gemacht werden sollten. Der Türkei halten die Grünen vor allem deren Vorgehen gegen die Kurden vor, und da sich die Partei in der Vergangenheit mehrfach dem Machtwort des Kanzlers beugen musste - das bekannteste Beispiel ist die Atompolitik -, wolle sie wenigstens bei der an sich sekundären Frage der Panzerlieferung Konsequenz und Prinzipientreue demonstrieren. Sie fürchtet wie einst die FDP, im Regierungsalltag Profil und damit Anziehungskraft auf ihre angestammten Wählerschichten zu verlieren. Von Zeit zu Zeit spielen die Grünen daher mit dem Feuer und suchen in der Koalition den Konflikt, wenngleich unter den massgeblichen Vertretern der Partei niemand einen Bruch des Bündnisses ernsthaft in Erwägung zieht.

Widersprüchlicher Kurs Fischers

Aus diesen innenpolitischen Erwägungen nehmen die Grünen in Kauf, dass ihr Aussenminister Fischer in der ganzen Angelegenheit keine gute Figur macht. Während Bundeskanzler Schröder im Bundessicherheitsrat die Überlassung des Leopard 2 durchsetzte, stimmte Fischer als einziger grüner Vertreter im Gremium dagegen. Dieses Votum steht in eindeutigem Gegensatz zur bisherigen Politik Fischers, der sich seit seinem Amtsantritt für bessere bilaterale Beziehungen zu Ankara und insbesondere eine Annäherung des Landes an die EU eingesetzt hat. Eine Weigerung, dem bewährten Nato-Partner auch nur einen Panzer zu Testzwecken zu überlassen, wäre ein Affront gegenüber Ankara gewesen. Der Streit um den Leopard 2 zeigt, dass auch nach dem Kosovo-Konflikt und dem Sonderparteitag in Bielefeld die Aussen- und Verteidigungspolitik für die Grünen ein heikles Feld bleibt. Nach wie vor dominieren Vorstellungen, die sich mit den Erfordernissen des Regierungsalltags nur schwer vereinbaren lassen.