fr, 27.10.99

Kommentar Erst der Panzer, dann die Moral

Logisch wäre auch die Auskunft, dass die Türkei derzeit weder als Panzerkunde noch als aktueller EU-Kandidat in Frage kommt

Von Knut Pries

Es bleibt also dabei, der "Leo" rollt. Aber der Vorführpanzer der Firma Krauss-Maffei rollt nicht ohne Begleitung, sondern transportiert schweres Marschgepäck mit an den Bosporus: Interpretationen, Kautelen und Optionen, versehen mit dem Feldstempel rot-grün. Wieder einmal hat die Berliner Regierung eine Entscheidung erst getroffen und sodann, erschrocken über das hässliche Echo, gewundene Erklärungen nachgeliefert, wie sie zustande gekommen und zu verstehen sei.

Die Grünen hat das Ergebnis der nächtlichen Entsorgungsoperation in eine unbehagliche Lage gebracht: Sie müssen nun hoffen, dass sich der tätige Respekt vor den Menschenrechten in der Türkei so verbessert, dass dieser Fortschritt in ein, zwei Jahren mit der Lieferung einer ganzen Panzer-Armee belohnt werden kann. Oder doch lieber umgekehrt? Dass man 2001 noch ausreichend Handhabe findet, den allfälligen Wunsch der türkischen Militärs nach deutschem Kriegsgerät letztlich abschlägig zu bescheiden, weil die Missachtung rechtsstaatlicher Standards und des Gebots ziviler Konfliktlösung fortdauert? Das eine ist so misslich wie das andere, beides sind nicht gerade überzeugende Varianten einer Außenpolitik mit humanem Profil.

Das ist nun nicht nur dem kleineren Koalitionspartner anzulasten, der diese Akzentverschiebung dankenswerterweise zu seinem besonderen Anliegen gemacht hat. Es ist nicht der Fehler der Grünen, dass wir es mit unsauberen Verhältnissen zu tun haben, die nicht auf einen Schlag mit idealistischen Zaubermitteln zu sanieren und in den Zustand moralischer Untadeligkeit zu erheben sind. Der Nato-Alliierte Türkei ist Mitglied eines Militärbündnisses, das sich prinzipiell und letzthin immer prononcierter als Wertegemeinschaft versteht. Diese "westlichen" Werte - Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Menschenwürde - mögen in der Anwendung alles andere als präzise sein. Sie sind aber trennscharf genug, um festzustellen, dass die Türkei ihnen nicht genügt. So verlangt die Nato von den osteuropäischen Beitrittskandidaten die Kontrolle des Militärs durch die Politik. Die Erben Atatürks halten es umgekehrt. Wenn sie heute einen Antrag auf Aufnahme in die Allianz stellten, der sie bereits angehören, kämen sie nicht hinein.

Dies ist ein Ausgangspunkt deutscher Politik, den keine Regierung umstandslos ändert, und eine 6,7-Prozent-Partei schon gar nicht. Moralische Keimfreiheit lässt sich nur ohne Entscheidungsverantwortung, in der Opposition, erreichen. Die Regierungsbank steht im Reich des Unreinen.

Was bleibt, ist - wichtig genug - richtige Politik im Falschen. Auch die ist freilich im Fall des Leopard 2 nicht recht erkennbar. Den Kanzler, der vor allem Arbeitsplätze im Sinn und im Zweifel für Kettenfahrzeuge ein so großes Herz wie für Autos hat, muss dabei nur beschweren, dass sich die Koalition erneut von der Brisanz des eigenen Handelns hat überraschen lassen. Das Rätselraten, wie Regierung richtig gemacht wird, will schier kein Ende nehmen. Aus grüner Sicht ist aber auch das, was man macht, nicht überzeugend. Außenminister Fischer hat sich verheddert: Wie er gestimmt hat, nämlich gegen die Panzer-Lizenz, passte zu den Erwartungen der Partei, aber nicht zur eigenen Politik. Fürs Ergebnis gilt das Umgekehrte.

Im Dezember soll die Türkei auf Betreiben der Deutschen in den Status eines offiziellen EU-Kandidaten befördert werden, und zwar nicht als Anerkennung für Fortschritte in Sachen Demokratie, sondern als Hoffnung auf solche. Das ist an sich schon ein Hochrisiko-Unternehmen. Wo sich die Nato mit Mindestanforderungen an Demokratie und Zivilität begnügt, stellt die EU aus gutem Grund erheblich höhere Ansprüche. Entsprechend ist Ankaras Defizit hier noch markanter. Es hat sich auch nicht nennenswert verringert, seit der Luxemburger EU-Gipfel vom Dezember 1997 feststellte, dass für den Beitritt der Türkei dieselben Bedingungen gelten wie für andere, sie aber von der Erfüllung viel weiter entfernt sei.

Das Zeugnis stimmt noch, die bessere Kopfnote ist Vorschuss. Den zu honorieren, obliegt nach Lage der Dinge genau jenen Militärs, denen man nach umfangreichen Waffenlieferungen in der Vergangenheit nun einen Panzertest hätte abschlagen und damit bescheinigen müssen, dass sie auch in zwei Jahren - Verbündete hin, Demokratiefortschritte her - nicht als Käufer deutscher Waffentechnik in Frage kommen. Da ist selbst der jetzt beschlossene Deal logischer.

Logisch wäre allerdings auch die Auskunft, dass die Türkei auf dem gegebenen Stand der Menschenrechte weder als Panzerkunde noch als aktueller Kandidat für die Mitgliedschaft einer Europäischen Union in Frage kommt, deren Pläne für gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein gemeinsames Verständnis von den Spielregeln des Waffengebrauchs voraussetzen. Und das wäre dann auch ehrlicher, um nicht zu sagen: moralischer.