fr, 27.10.99

Ein Panzer zwischen zwei Welten

Während Rot-Grün nach dem Koalitionsstreit neu verunsichert ist, freut sich die Rüstungslobby auf das Geschäft

Von Axel Vornbäumen und Richard Meng (Berlin)

Es sind nur ein paar Meter Luftlinie bis zum Kanzleramt - und doch, irgendwie will sich an diesem Montagabend in der Beletage des Nobelhotels am Berliner Gendarmenmarkt der Eindruck nicht verflüchtigen, es könnten womöglich doch Welten zwischen beiden Orten liegen. An den Stehtischen wird Sekt gereicht, gleich beginnt das "Montagsgespräch" der Rheinmetall DeTec AG, ein Vortrag über die "Vorstellungen der Nato zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik". Weit mehr als dieses interessante Thema treibt die versammelten Rüstungsmanager in diesen Stunden aber um, wie der Kanzler wohl die Grünen in Sachen Testpanzer für die Türken einordnet.

Einer bringt vermeintlich gute Kunde mit, letztlich aber weiß man nie. Er komme gerade vom Empfang der neuen BMW-Dependance "Unter den Linden", dort habe der Deutschen oberster "Automann" signalisiert, dass er in der Panzer-Frage nicht wackeln werde. "Doch das", sagt der Manager, "ist nun auch schon wieder zehn Minuten her." Die Runde ist skeptisch, was an Schröderscher Standhaftigkeit auf dem Weg zwischen Auto-Fete und Krisengipfel verlustig gehen könnte.

Dass Rot-Grün nicht gerade der klassische Katalysator für die Wiederbelebung der deutschen Rüstungsindustrie sein werde, hatte man schon geahnt. Dass sich die Grünen in Person ihres Außenministers Joschka Fischer in Vereinigung mit dem immerwährenden moralischen Impetus der Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul aber im Bundessicherheitsrat an den Kern der deutschen Wehrtechnik wagen würden - das nun doch nicht. Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, 6000 sichere die Komplettlieferung deutscher Leopard-Panzer an den Nato-Partner, das ist bekannt. Aber wissen die eigentlich, fragt einer, "wie viele Firmen an der Herstellung eines einzigen Leopard II beteiligt sind? Ich will Ihnen das sagen: 1500, hauptsächlich Mittelständler." So etwas sei der Ministerin ja egal - "die hat schließlich ihre dicke Pension".

Hier bei der Rüstungslobby kommt, während nebenan im Kanzleramt die rot-grünen Koalitionspartner das Schlupfloch aus ihrer neuesten Krise suchen, in wenigen Minuten ein stattliches Argumentationspaket zusammen, warum es nur richtig sein kann, die Türkei mit deutschen Panzern einzudecken: Will man sich etwa "schon wieder als Lehrmeister aufspielen" und anderen Nationen vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen haben? Und wie sieht es da mit dem Urvertrauen aus, dass die "Urdemokratien Großbritannien und USA" den Türken entgegenbringen, allzeit bereit, händereibend ins Rüstungsgeschäft einzusteigen, wenn sich die Deutschen mal wieder in dümmlicher Zurückhaltung übten? Und die Kurden? "Was gehen uns eigentlich die Kurden an, frage ich Sie", sagt einer und erhält sofort argumentative Rückendeckung. Anmaßend sei die moralische deutsche Einmischung in der Kurdenfrage - "so richtig verstehen kann man das nur als Türke". So einfach kann die Welt sein, wenn man nur ein klar abgegrenztes Interesse in ihr hat.

Nebenan ist die Welt an diesem Abend ungeheuer kompliziert. Im ersten Stock des Kanzleramts tragen sie kurz vor Mitternacht ihr Verhandlungsergebnis vor wie zwei Tarifparteien: kulant im persönlichen Umgang miteinander, aber verbissen in der Sache. Es sei "sehr engagiert" und sogar "laut" zugegangen in diesem Koalitionsgespräch, werden Teilnehmer später den Parteifreunden berichten. Die Grünen haben eine Auszeit gebraucht, bis am Ende ein Text vereinbart war, den SPD-Fraktionschef Peter Struck verliest wie ein diplomatisches Dokument. Von "Kompromiss" werden sie später sprechen wie bei jedem ordentlichen Tarifabschluss. Aber von Zugeständnissen im eigentlichen Konfliktfall, der Lieferung des Probe-Panzers an die Türkei, kann keine Rede sein. "Es ist doch klar, dass eine Entscheidung der Exekutive nicht hinterher korrigiert werden kann", wird später ein Sozialdemokrat kühl feststellen - und anfügen: "Wo kämen wir denn sonst hin?"

Dass mit dem Test-Leopardpanzer noch keine Vorentscheidung über den ganz großen Deal verbunden sein soll, hat auch das Kanzleramt schon seit einer Woche behauptet. Etwas verändert hat sich im Laufe des Tages nur die Rhetorik, mit der Rot-Grün beschreibt, welche Maßstäbe nach den Panzertests in zwei Jahren angelegt werden sollen - falls die Türken das Produkt aus deutschen Waffenschmieden wirklich tausendfach kaufen wollen. Von der "Erwartung, dass die Türkei dem Ansprechen von Menschenrechten genügt", hat SPD-Geschäftsführer Franz Müntefering am Nachmittag ungelenk gesprochen. Bei Struck klingt es nach der Koalitionsrunde umständehalber entschlossener: "Für uns heißt das klipp und klar, dass die Menschenrechtssituation in der Türkei sich deutlich verbessern muss." Sollte sich "nichts in der Substanz ändern", bekräftigt Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller, sehe sie "für uns keine Basis zur Zustimmung".

Weil das so wenig überraschend ist, fragen sich die Grünen selbst am Tag danach noch, was eigentlich den Kanzler geritten habe, den Test-Panzer im Bundessicherheitsrat so rücksichtslos durchzusetzen. Das sei letztlich "auch eine Frage der Führungsfähigkeit" Schröders gewesen. Er habe sich "nicht gerade sehr interessensgeleitet" verhalten, wenn man einmal nicht nur Wirtschaftsinteressen, sondern auch Schrödersche Eigeninteressen betrachte: "Wäre es mit Blick auf die Koalition und auch den anstehenden SPD-Parteitag nicht günstiger für ihn gewesen, den einen Testpanzer zu verweigern?" Derartige Fragen wagt man bei der SPD bestenfalls zu denken. Der Machtwortkanzler hat im Glashaus wieder einmal Porzellan zerschlagen: SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Schmidt spricht offen von einem "sehr ernst" zu nehmenden Konfliktfall. Andere in der SPD reden von einer "Probe" für die Koalition - und es sei schon wahr: "So etwas zehrt an den Kräften, aber es muss weitergehen."

Am Tag danach ist der Kräfteverschleiß spürbar. Das "Panzerthema", mit dessen Sprengwirkung niemand gerechnet hatte, hat die Anfälligkeit der Koalition neu dokumentiert. In der allgemeinen Sinnkrise gibt es keine problemlosen Fragen mehr, und zunehmend fehlt sogar die gemeinsame Blickrichtung. Aus SPD-Perspektive heißt es nun: "Die Grünen sind mächtig unter Druck. Aber es nutzt ihnen nichts, wenn die Strategie der Eigenprofilierung so fortgesetzt wird, dass es ständig Konflikte gibt." Aus Grünen-Sicht ist im eigenen Überlebenskampf der Spielraum für Zugeständnisse jetzt noch enger geworden.

Zur neuen Verunsicherung passt, dass nun zwischen Kanzleramt und Außenministerium und sogar zwischen den beiden Test-Gegnern Fischer und Wieczorek-Zeul allerhand Unfreundlichkeiten ausgetauscht werden. Schröder und Fischer standen sich am Ende erstmals bei einer Sachentscheidung als Gegner gegenüber. Fischer und Wieczorek-Zeul unterstellen sich gegenseitig Profilsucht und mangelnde Konsequenz. Neben dem großen Konflikt gibt es manchen kleinen. Wieczorek-Zeul, die regierungsintern manchmal radikaler gegen Waffenexporte auftrat als der Außenminister, hat im SPD-Präsidium noch einmal deutlich ihre Ablehnung der Schröder-Linie im Panzerfall begründet und in der rot-grünen Koalitionsrunde geschwiegen. Das sei "Klugheit" gewesen und habe "dazu gedient, die Lage zu entspannen", wird sie in der SPD gelobt - während man im Fischer-Lager säuerlich anmerkt, diese Ministerin sei "auf Effekte" aus und lade schwierige Fragen dann doch "bei den Grünen ab".

Nur scheinbar zufällig schwebt am Tag nach dem Koalitionsgespräch der türkische Außenminister Ismail Cem in Berlin ein. Doch keine Angst, Rot-Grün: Mit Panzern im wörtlichen Sinn will er an diesem Tag nichts zu tun haben. Gemeinsam mit Fußballfreund Fischer hat er für den Termin, an dem die neue türkische Botschaft eröffnet wird, gezielt das Datum des Fußballspiels Hertha BSC - Galatasaray Istanbul ausgewählt. Sport wirkt manchmal doch noch verbindend, und was in zwei Jahren sein wird, gilt unter Politikern immer als ungewiss. Ob Hertha und Galatasaray dann noch in der Champions-League spielen, ob Fischer und Cem noch Minister sind, aber vor allem: ob die Türken dann wirklich kurz vor einer deutschen Bundestagswahl in Berlin tausend Panzer bestellen wollen. Wenigstens das ließe sich dann vielleicht ja auch einmal im Vorfeld abklären oder auch abwehren.

Gewissheiten gibt es nur außerhalb der Politik, zum Beispiel bei Rüstungsmanagern. Während bei Rot-Grün nächtens noch die Köpfe rauchten und zumindest offiziell nicht bestätigt war, dass es bei dem Test-Panzer für Ankara bleibt, gab es in der noblen Versammlung am Gendarmenmarkt nur selbstsichere Gesichter. Ein Test mit offenem Ergebnis? Hier ist das undenkbar. Die Lobby ist sich viel schneller einig als Rot-Grün: Wer einmal in einem deutschen Panzer gesessen hat, will ihn auch kaufen.