Frankfurter Neue Presse, 26.10.99

Waffen - ein tückisches Geschäft

Panzer rollten an Minister vorbei

Berlin. Seit Jahrzehnten sorgen deutsche Waffenlieferungen in die Türkei für politischen Ärger. Immer wieder spielten Zustände in türkischen Gefängnissen eine Rolle, die Beachtung der Menschenrechte oder die Bekämpfung der kommunistischen Kurden-Guerilla PKK.

Der Waffen-Dauerkonflikt mit der Türkei erreichte bereits im Jahre 1992 einen Höhepunkt, als 15 Panzer am damaligen Verteidigungsminister vorbei an den Bosporus gerollt waren. Mit seinen beiden Parlamentarischen Staatssekretären Otfried Hennig und Willi Wimmer musste Gerhard Stoltenberg den Hut nehmen.

Im Haushalts-Ausschuss des Bundestages hatten Abgeordnete von SPD und der mitregierenden FDP gefordert, die 15 Panzer nicht mehr umzubauen und auszuliefern, da die Türkei als "Verfolgerstaat" zu qualifizieren sei. Die dafür nötige Rüstungssonderhilfe von 25 Millionen Mark sei zu sperren.

Wenige Tage später warnte der Genscher-Vertraute Jürgen Chrobog in einem Brief an die Hardthöhe vor der "Suspendierung" der Sonderhilfe, die "völkerrechtlich verbindlich" vereinbart sei. Ansonsten würde das Verhältnis zur Türkei "schwer belastet".

Die Bundestagsabgeordneten kamen noch einmal zusammen und bekräftigten ihre vormalige Position. Stoltenbergs Staatssekretär Hennig versicherte, man werde diesen Willen keinesfalls unterlaufen. Und trotzdem erreichten die 15 als letzte von insgesamt 158 Panzer die Türkei. Stoltenbergs Nachfolger wurde am 31. März Volker Rühe.

Bereits von 1964 an hatte die Türkei von der Nato "Verteidigungshilfe" erhalten. Im Rahmen dieses Programms hatte die Bundesrepublik bis 1992 Militärmaterial wie Panzer vom Typ M-48 und Leopard I geliefert sowie Munition, Transall-Transportflugzeuge und Feldzeug für mehr als sechs Milliarden Mark.

Nach Ausbruch des Golfkrieges sagte Bundeskanzler Kohl auf Wunsch der USA dem damaligen türkischen Präsidenten Turgut Özal weitere Materialhilfe im Wert von 1,5 Milliarden Mark zu.

Darunter rangierten 240 Leopard-Kampfpanzer, zehn Brückenlege- und 20 Berge-Panzer, 200 Mannschaftstransportwagen der NVA und 350 der Bundeswehr sowie Schutzausrüstungen gegen atomare, biologische und chemische Waffen.

Gestritten wurde heftig über 45 Aufklärungs-Flugzeuge vom Typ Phantom, wobei es entscheidend darum ging, ob Vorrichtungen für das Tragen von Bomben und Auslöse-Verkabelungen vorhanden sind.

Als eine Tranche von 65 Milliarden (für nur kurze Zeit) gesperrt worden war, nachdem die Türkei Kurdengebiete im Nordirak besetzt hatte, kam es zu heftigen politischen Auseinandersetzungen, in deren Rahmen die Türkei mit dem Boykott deutscher Waren drohte und daran erinnerte, dass sie zwar sechs Milliarden Rüstungshilfe erhalten, aber gleichzeitig 9,9 Milliarden selbst bezahlt habe.

Die damalige türkischen Premierministerin Tansu Ciller warf den westlichen Verbündeten erregt vor, "zu schweigen, wenn PKK-Terroristen Säuglinge ermorden". Zur Forderung, bei den Feldzügen in den Nord-Irak auf den Einsatz deutscher Waffen zu verzichten, sagte Frau Ciller damals: "Wenn wir in eine Lage versetzt werden, in der wir uns mit diesen Waffen nicht mehr verteidigen können, dann werden wir sagen, behaltet eure Waffen."

Vergleichsweise fast geräuschlos über die politische Bühne ging 1996 eine als "Werft-Hilfe" getarnter Zuschuss der Bundesregierung von 70 Millionen Mark an die Türkei. Dafür liefen Ende 1997 die beiden letzten hochmodernen Kriegsschiffe vom Stapel. Vom Zuschuss begünstigt war die Hamburger Werft Blohm und Voss. Wobei damals offenbar auch die Gewerkschaften und die SPD für die Aufträge dankbar waren. Die Bestellung mehrerer Fregatten hatte Bundeskanzler Kohl den Türken nahe gebracht. Die Bundesregierung unterstützte das Geschäft im Volumen von 840 Millionen Mark mit einem Zuschuss von 150 Millionen Mark.

Bereits vor dem Militärputsch von 1980 hatte Deutschland in mehreren Tranchen von 50 bis 100 Millionen Mark die militärische Ausrüstung der Türkei unterstützt, nach der Devise: harte Währung für die weiche Flanke der Nato.

Im Jahr 1975 war die Hilfe kurzfristig eingestellt worden auf Grund der türkischen Besetzung Zyperns. Damals hatte der Nato-Oberbefehlshaber in Europa, der US-General Alexander Haig, davor gewarnt, dass dies zu einer weiteren Verschlechterung der Lage an der Nato-Südflanke führen würde.

In der Türkei unterhielten die USA damals 27 Stützpunkte, die für die elektronische Aufklärung und damit für die militärische Vorwarnung im Kalten Krieg von Bedeutung waren. Immerhin hat die Türkei rund 600 Kilometer gemeinsame Grenze mit der damaligen Sowjet-Union.

Als die Rüstungslieferungen ausgesetzt wurden, schlossen die Türken kurzentschlossen einen Großteil der US-Stützpunkte. Es entstand für die Nato eine schmerzliche Lücke, die vor allem nach der Revolution im Iran deutlich spürbar wurde. Denn auch dort verloren die USA ihre Horch-Posten, die sie unter dem Schah in Persien unterhalten hatten.

1979, als das Waffen-Embargo bereits wieder aufgehoben war, kam es unter der Federführung des niedersächsischen Finanzministers Walter Leisler-Kiep als dem Sonderbeauftragten des Bundeskanzlers Helmut Schmidt für die Türkei zur einer groß angelegten Hilfsaktion der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die USA verpflichteten sich zu einer Warenhilfe von 350 Millionen Mark, die Bundesrepublik zahlte 380 Millionen.