Die Welt, 26.10.99

Mal deutsch, mal grün

Der Außenminister pendelt zwischen nationalen Interessen und Partei-Befriedigung. Im Panzerstreit werfen ihm seine Kritiker vor, dass er Menschenrechte nur dann zum Thema macht, wenn es seiner Politik nicht schadet

Von Wulf Schmiese

Bei den Menschenrechten versuchen sie Joschka Fischer zu packen. Beinahe wäre er ihnen entwischt auf der nach oben offenen Beliebtheitsskala, doch nun heften sich viele Grüne wie ein Sticker aus den ersten Tagen an seinen Diplomatenrock. Die Außenpolitik müsse an den Grundsätzen der Menschenrechte orientiert sein, mahnt Jürgen Trittin, der still gewordene Rivale. Endlich kann er sich mal in Fischers Metier einmischen und viele in seiner Partei, nicht nur Linke, geben ihm Recht. Weil in der Türkei Menschenrechte "wirklich durch den Dreck gezogen" werden, dürften nicht einfach Panzer dorthin geliefert werden.

Fischer weiß natürlich wie sensibel seine Partei gegenüber Waffen, Kurden und den Militärs in Ankara eingestellt ist. Er stimmte am Mittwoch im Bundessicherheitsrat gegen die Lieferung eines Testpanzers des Typs Leopard II. Doch er unterlag gegen die drei Stimmen des Bundeskanzlers, Verteidigungs- und Wirtschaftsministers. Nur die linke Entwicklungshilfemnisterin Heidemarie Wieczorek-Zeul hob wie Fischer ihre Hand dagegen.

Ausgerechnet aus ihrem Hause ist nun etwas Hochpeinliches für Fischer lanciert worden. Vor der Sommerpause habe der Außenminister stets abgelehnt, dass dieRüstungsexport-Richtlinien verschärft werden sollen. Dass Fischer sich nun für schärfere Richtlinien und gegen den Panzer-Deal ausspricht, entlarve ihn als Opportunisten, glauben viele in der SPD. Schließlich habe er damals sogar dem Export von sechs Minensuchboten zugestimmt.

Nun winden sich die Verteidiger im Außenamt, sagen, dass die Niederlage bei der Abstimmung am Mittwoch eine Überarbeitung der Richtlinien erfordere. Die SPD kann darüber nur lachen und verhöhnt die Erklärung als "Hilfskonstruktion".

Schummelt Fischer? Stehen Menschenrechte - Katechismus der Grünen - bei ihm nicht ganz vorne? Argumentiert er mit ihnen nur, wenn seine Partei es erzwingt? Einige Grüne sehen das so. "Menschenrechte sind für Fischer nur rhetorisches Beiwerk. Wenn es hart auf hart kommt, geht es für ihn auch ohne sie", sagt ein Realo aus Brüssel, der für die deutschen Grünen im EU-Parlament arbeitet. Deshalb seien die Reaktionen vieler Grüner auf das mögliche Panzergeschäft so prompt wie scharf gewesen.

Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer, wie Fischer ein Realo, drohte gleich mit Unterschriftenaktionen. Er sagte sogar, es gebe Wichtigeres als das Bündnis mit der SPD. Bütikofer hält sich zu gute, im Gegensatz zu anderen führenden Männern in seiner Partei für grüne Werte einzustehen. Dazu gehört der Kampf für die Umweltpolitik ebenso wir der für Menschenrechte. Die Europaabgeordnete Heide Rühle, auch Reala und im Kosovokonflikt voll auf Fischers Seite, unterstützt Bütikofer, sie lobte die inzwischen wieder abgeblasene Kampagne-Idee. Dass es absurd wäre, Proteste gegen die eigene Regierungspartei zu organisieren, stört beide dabei wenig.

"Das Murren über Fischers Außenpolitik wird lauter", sagt der Brüsseler Grüne. Anfangs sei man bereit gewesen, abzuwarten. Jeder habe Verständnis für Fischers Ankündigung gehabt, dass er in erster Linie deutsche Aussenpolitik machen müsse und nicht grüne. Nach dem Ende des Kosovo-Konflikts, den Fischer vor allem mit dem Argument der Menschenrechte führte, was seine pazifistischen Kritiker mundtot machte, "da haben wir schon auf ein Zeichen grüner Aussenpolitik gewartet", so der Mann aus Brüssel.

Dieses Zeichen kam Ende Juni. An den EU-Lateingipfel in Rio hängte Fischer ein paar Tage dran, um sich mit Menschenrechtlern aus Brasilien zu treffen. Er stapfte durch Regenwälder, warnte vor Rodung der Tropenhölzer und machte all das, was eingefleischte Grüne so von einem Außenminister erwarten. Konkret wurde wenig.

Im Wissen, dass er nichts ändern kann, befriedigte Fischer seine Leute auch schon einen Monat nach Regierungsantritt. Damals, im November letzen Jahres, forderte er den Verzicht der Atommächte auf den nuklearen Erstschlag. Es war klar, dass die Amerikaner nur die Stirn Kraus zogen über diese forsche Idee der Nuklear-Habenichtse aus Deutschland. Doch die Basis hatte das gute Gefühl: "Nicht mit uns! Jetzt weht ein neuer Wind!"

So hatte Fischer wieder Grund, um deutsche, nicht grüne Außenpolitik zu machen. Er konnte die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat fordern, auch wenn er das selbst früher als "Versuch einen Großmachtstatus zu erlangen" geißelte. Seine neue Haltung schluckten die Grünen. Um diese wirklich wichtige Politik machen zu können, so Fischers Strategie, lege ich mich halt in der Panzerfrage mit der Regierung an.

Vom Vorwurf des Heuchelns in Menschenrechtsfragen entlastet ihn sein wichtigster Mann auf diesem Gebiet, Gerd Poppe. Der ostdeutsche Widerständler mit den dicken Brillengläsern ist der Menschenrechtsbeauftragte des Außenministers. Dieses Gebiet werde von Fischer keineswegs vernachlässigt. "Wir haben auf dem Feld der Menschenrechte bisher sehr viel erreicht, die bisherige Arbeit kann sich sehen lassen." Poppe verweist auf die geschlossen Haltung der EU während der Menschenrechtskommission in Genf sowie auf Fischers Einsatz auf der UN-Vollversammlung in New York, wo er das Thema Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt habe. Außerdem werde noch in diesem Jahr ein EU-Menschenrechtsbericht verabschiedet sowie eine europäische Menschenrechtscharta vorbereitet. "Das ist zu großen Teilen das Verdienst des deutschen Außenmnisters", sagt Poppe. Außerdem würden EU-Verträge mit anderen Staaten seit jüngster Zeit mit einer Menschenrechtsklausel versehen werden. Sie könnten sogar bei groben Verstößen gegen die Menschenrechte gekündigt werden, sagt Poppe.

Und Fischers Haltung zu den Rüstungslieferungen in die Türkei sei immer schon so kritisch gewesen wie sie jetzt ist, versichert sein Menschenrechtsanwalt Poppe. Von Anfang an habe der Außenminister nichts von Panzersendungen dorthin gehalten, ob zu Testzwecken oder mehr. Dass er den Minenbooten zugestimmt habe, nun ja, das sei schon o.k. "Bei schwimmendem Gerät ist eine strenge Haltung aus menschenrechtspolitischer Sicht nicht nötig", sagt Poppe. "Panzer jedoch könnten durchaus etwa gegen Kurden eingesetzt werden."

Doch Poppe scheint schon zu ahnen, was Fischers Gegenstimme bringt: nichts. Er kann sich mal wieder leisten grüne Haltung zu wahren, denn sie wird nichts ändern am Ergebnis. Ebenso kann sich die Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul, als "rote Heidi" gerieren, morallos sind ja genügend ohne sie.

Was, wenn der Außenmnister sich mit seinem Einsatz für die Menschenrechte nicht durchsetzt? "Dann müssen wir die Entscheidung hinnehmen. Ich hielte es für einen Fehler, wenn dann versucht würde, den Konflikt durch Unterschriftenaktionen oder andere Proteste zu schüren", sagt Gerd Poppe, ranghöchster Menschenrechtler im Hause Fischer.