fr, 26.10.99

Die Brisanz des Testpanzers hat kaum jemand erkannt

Einige Sozialdemokraten argwöhnen ein Doppelspiel Fischers im Bundessicherheitsrat

Von Richard Meng (Berlin)

Seit Tagen geht das jetzt schon so: Grüne reagieren öffentlich empört, sind aber positiv überrascht wegen der scheinbaren Standfestigkeit ihrer Bundesführung. Sozialdemokraten gehen zerknirscht auf Tauchstation oder reden sich heraus wie Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Schmidt, der die Entscheidung noch für "revidierbar" hält. Sie ist es nicht.

Der Bundessicherheitsrat hat vergangene Woche beschlossen, dass die Türkei ein Jahr lang einen deutschen Panzer vom Typ "Leopard 2A5" testen darf; die entsprechenden Bescheide sind längst erteilt, es geht nur noch um Bewältigungsversuche und das Bemühen, die Genehmigungsschwelle für das nächste Mal höher zu legen. "Vorbeugende Wirkung für die Zukunft" werde dieser Konflikt haben, sagt ein Regierungsmitglied. "Die eigentliche Auseinandersetzung fängt jetzt erst an", heißt es in einem der beteiligten Ressorts. Denn über die 1000 Panzer für die Türkei, um die es geht, ist nach allgemeiner Beteuerung noch nicht entschieden.

Von Tag zu Tag aber wird klarer, wie sehr sich die rot-grüne Koalition wieder selbst in Turbulenzen gebracht hat, denn der politische Symbolwert des Test-"Leos" wurde in der entscheidenden Sitzung des Bundessicherheitsrats unterschätzt, die Argumentation erweist sich zumindest innerhalb der Koalition als schwer vermittelbar. Ein 60 Tonnen schwerer Kampfpanzer sei, sagen die Befürworter, nicht gegen die Kurden einsetzbar, weil er im bergigen Kurdistan nicht operieren könne. Ein kleinerer Schützenpanzer dagegen wäre nach ihrer Ansicht gegen die Kurden verwendbar und damit ebenso wenig exportfähig gewesen wie Maschinengewehre. Claudia Roth, Grünen-Abgeordnete und Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, kontert: "Panzer wie der Leopard eignen sich, kleine kurdische Dörfer und Häuser niederzuwalzen".

Mindestens eignen sie sich dafür, das türkische Militär zufrieden zu stellen, das den Kampf gegen die Kurden führt. Und sie eignen sich dazu, wieder einmal alle guten Absichten der Koalition in Berlin über den Haufen zu werfen. Die Regierungspolitik solle besser geplant und koordiniert werden, hatten die Koalitionäre gerade erst verabredet. Selbst das SPD-Präsidium aber hat sich am Montag erst nachträglich mit dem Fall beschäftigt, die Argumente Für und Wider "angehört", so Geschäftsführer Franz Müntefering, und nur noch ein Interesse gehabt: den "absurden Konflikt" (ein Präsidiumsmitglied) möglichst schnell beizulegen.

Dass er entstand, hat mit vielen Fehleinschätzungen zu tun. Bevor der Sicherheitsrat mit den Stimmen von Kanzleramt, Wirtschafts- und Verteidigungsministerium und gegen Außen- und Entwicklungsressort für den Testpanzer stimmte, sahen die Befürworter keinerlei Anzeichen für die spätere Eskalation. Mit anderen Worten: Auch Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hätte demnach die Bedeutung für die Koalition unterschätzt oder beim Kanzler nicht deutlich genug Einspruch eingelegt - oder er hat sich zwar überstimmen lassen, aber die Drei-zu-zwei-Mehrheit gegen sich augenzwinkernd hingenommen. Einige Sozialdemokraten sprechen von einem "Doppelspiel" Fischers. Der ist im geheim tagenden Bundessicherheitsrat zwar schon öfter überstimmt worden, andererseits aber auch oft weit weniger radikal gegen einzelne Waffengeschäfte aufgetreten wie die SPD-Linke und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Geheim ist am Sicherheitsrat kaum mehr etwas. Das vom Kabinett eingesetzte Gremium, in dem auch die Innen-, Finanz- sowie Justizminister sitzen und zumeist schweigen, arbeitet immer noch nach der alten Geschäftsordnung der Vorgängerregierung. Damals jedoch gab es schon deshalb einstimmige Entscheidungen, weil zwischen CDU/CSU und FDP heikle Themen vorher abgeklärt wurden und die Union im Zweifel nichts gegen den Partner durchsetzte (und durchzusetzen brauchte). Unter Rot-Grün hat sich nach vier bisheringen Sitzungen die Mehrheitsentscheidung als Normalfall eingebürgert, und dabei haben Kanzleramt, Wirtschafts- und Verteidigungsministerium die Richtung vorgegeben.

Der Test-"Leo" für die Türkei wurde vom Kanzleramt, das die Geschäftsführung hat, wie routinemäßig durchgesetzt - und damit das Dilemma heraufbeschworen. "In solch einer zentralen Frage der Außenpolitik darf sich ein deutscher Außenminister nicht überstimmen lassen", rügt FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle nun Fischers "Beliebigkeit", während CDU-Chef Wolfgang Schäuble die "Leo"-Entscheidung "in der Substanz eher richtig" nennt, aber ein "Gesamtkonzept" vermißt.

Die SPD hofft auf einen "verpflichtenden europäischen Verhaltenskodex" (Müntefering), der ihr solche Peinlichkeiten in Zukunft ersparen könnte. Der Entwurf dafür liegt schon vor, und darin heißt es, ein Waffenexport solle unterbleiben, "wenn eindeutig das Risiko" bestehe, das zur Ausfuhr bestimmte Gerät werde in einem Land "zur internen Repression benutzt". Das ist so dehnbar wie die deutschen Export-Richtlinien, an denen Rot-Grün jetzt noch einmal feilen will.