jw, 25.10.99

13jähriger Kurde wird nicht abgeschoben

Proteste gegen unmenschliche Flüchtlingspolitik hatten in Freiburg Erfolg

Nach monatelangen Protesten gegen die inhumane Abschiebepraxis in Baden-Württemberg wurde im Fall des 13jährigen Kurden Sükrü Polat, der sich seit drei Monaten aus Angst vor Abschiebung in Südbaden versteckt hält, ein Erfolg erzielt.

Am Freitag erteilte das zuständige Regierungspräsidium eine Duldung, bis sein Vater Ömer Polat seine deutsche Freundin in der Türkei geheiratet hat und damit wieder nach Deutschland einreisen darf. Der 41jährige Kurde, der acht Jahre lang in Südbaden gelebt hat, war am 12. Oktober auf einem Standesamt am Bodensee entgegen einer behördlichen Zusage auf freies Geleit verhaftet und anschließend abgeschoben worden. »Auch jene, die Gesetze nur ausführen, müssen sich an die Gebote der Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit halten«, kritisierte eine Sprecherin der Grünen vor 500 Demonstranten in Freiburg das Vorgehen der Behörden gegen die kurdische Familie. Die Ausländer- und Asylpolitik sei von »politisch gewollter Inhumanität« geprägt, sagte Pfarrer Christian Keller. Zur Kundgebung am Freitag hatten mehrere Kirchengemeinden und Ausländerinitiativen aus der Region aufgerufen.

Bislang hatte das Regierungspräsidium darauf beharrt, keinerlei rechtlichen Spielraum zu besitzen, da die Asylanträge der Polats rechtskräftig abgelehnt worden sind. Nach zahlreichen regionalen und überregionalen Protesten und Solidaritätserklärungen - unter anderem hat die Berliner PDS-Abgeordnete Evrim Baba eine Patenschaft für Sükrü Polat übernommen - hat die Behörde nun eingelenkt. »Es wäre jetzt widersinnig, Sükrü in die Türkei abzuschieben«, begründete Freiburgs Regierungspräsident Sven von Ungern-Sternberg die Kehrtwende.

Die örtliche Flüchtlingsinitiative »Rasthaus« erklärte dazu, daß täglich vier bis fünf Personen allein im Bereich des Regierungspräsidiums Freiburg ausgewiesen werden. »Das Vorgehen der Behörden in Sachen Ömer und Sükrü Polat ist exemplarisch für die derzeitige Abschiebepraxis im Südwesten. So hatten zwei Polizisten bei der Abschiebung einer algerischen Familie in Steinen bei Lörrach am 1. September den Familienvater mit zwei Schüssen lebensgefährlich verletzt. Der Mann wurde per Rettungs-Hubschrauber ins Kantonsspital nach Basel geflogen, die Abschiebung der übrigen Familie, einer Frau und drei Kinder, wurde fortgesetzt. Nur aus »ermittlungstaktischen Gründen« wurde sie schließlich gestoppt. Auch diese Abschiebung geschah nach Erkenntnis von »Rasthaus« entgegen einer Zusage aus dem Innenministerium und der Entscheidung des Landtags.

Am 4. Oktober wollte das Regierungspräsidium Freiburg auch eine kurdische Familie aus Lörrach abgeschieben, obwohl die Mutter zuvor in einem Gutachten als suizidgefährdet eingestuft und das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen war. Unmittelbar, als sie von der Abschiebung erfuhr, unternahm die Frau einen Selbstmordversuch, wurde auf die Intensiv-Station des örtlichen Krankenhauses eingeliefert und befindet sich derzeit in einer psychiatrischen Klinik.

Flüchtlingsunterstützer kritisieren, daß die Abschiebebehörden weder auf den gesundheitlichen Zustand der Flüchtlinge noch auf die Rechtslage Rücksicht nehmen, um Abschiebungen zu exekutieren. »Nicht nur Verwaltungsvorschriften machen deutlich, daß die Behörden und die Menschen in diesen Behörden inzwischen ein Eigeninteresse entwickelt haben, die Abschiebemaschinerie am Laufen zu halten. In diesem Zusammenhang wird gelogen, der ärztliche Behandlungsauftrag wird mißbraucht, miese Tricks werden benutzt«, kritisiert »Rasthaus«. In Einzelfällen, wie etwa bei Sükrü Polat, zeigen Proteste durchaus Wirkung.

Martin Höxtermann, Freiburg