Yahoo, 23. Oktober 1999, 20:15 Uhr

Fischer bekräftigt Nein zu Panzerlieferung

Koalition wegen Testpanzers für die Türkei vor Zerreißprobe - Außenminister verweist auf Wiederaufbaukosten

Berlin (AP) Die rot-grüne Koalition steht wegen der geplanten Lieferung eines Leopard-2-Testpanzers an die Türkei vor einer Zerreißprobe. Außenminister Joschka Fischer bekräftigte in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung «Der Tagesspiegel» (Sonntagausgabe) seine Ablehnung. Er verwies auf den Kurdenkonflikt und darauf, dass für den Wiederaufbau nach der Erdbebenkatastrophe in der Türkei «mindestens 16 Milliarden Mark» notwendig sein würden. «Da werden doch die Prioritäten nicht richtig gesetzt», erklärte er.

Die Türkei will in den kommenden Jahren rund 1.000 hochmoderne Panzer in Lizenz herstellen. Bei einer Auswahl des Leopard 2 würden nach Angaben des Herstellers sechs Milliarden Mark nach Deutschland fließen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder wolle als Befürworter der Lieferung den Grünen am Montag im Koalitionsausschuss die Meinung sagen, hieß es am Samstag in Berlin. Verteidigungsminister Rudolf Scharping warnte die Grünen davor, die Auseinandersetzung weiter über die Öffentlichkeit zu führen.

Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Angelika Beer, versicherte, dass es keine Unterschriftenaktion der Grünen gegen die Lieferung des Testpanzers geben werde. Eine solche Aktion war kurzzeitig im Gespräch gewesen. Allenfalls werde es Initiativen geben, «die sich positiv auf die Koalitionsvereinbarungen beziehen», erklärte Beer am Samstag im NDR. In diesen stehe, dass bei der Entscheidung über Rüstungsexporte die Menschenrechtslage im Empfängerland berücksichtigt werden solle. «Die Grünen stehen voll hinter dem Koalitionsvertrag und daran gibt es auch nichts zu rütteln.»

Scharping kommentierte in der «Marburger Volksstimme» den umstrittenen Beschluss des Bundessicherheitsrats zur Lieferung des Testpanzers, das Ziel der Bundesregierung sei eine «demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung in der Türkei». Diese müsse stabilisiert und gefördert werden. Die Entscheidung des Sicherheitsrates enthalte einen entsprechenden Hinweis an die Türkei.

«Nichts liefern, was im Innern eingesetzt werden kann»

Fischer hielt im «Tagesspiegel» dagegen: «Wir wollen die Türkei mittels Verbesserungen an die Europäische Union heranführen. Dazu wird man schwerlich Panzerlieferungen zählen können. Die Menschenrechtslage, und vor allem der bewaffnete Konflikt im Südosten bis jenseits der türkischen Grenze, sollten uns dazu veranlassen, nichts zu liefern, was im Innern eingesetzt werden kann.»

SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Struck wies am Freitagabend in der ARD darauf hin, dass mit dem Beschluss des Bundessicherheitsrates noch keine Entscheidung über die Lieferung weiterer Panzer an die Türkei gefallen sei. Im Koalitionsausschuss am Montag werde es darum gehen, mit den Grünen über eine Neufassung der Rüstungsexportrichtlinien zu diskutieren.

Laut «Berliner Morgenpost» lastet das Verteidigungsministerium in einem internen Papier den Grünen an, sie machten mit einer Blockade von Rüstungsgeschäften die Bundesrepublik unberechenbar und unglaubwürdig und gefährdeten auch zivile Exporte. Das Blatt zitiert aus dem Dokument, der Regierung liege seit geraumer Zeit eine erhebliche Anzahl Anträge deutscher Unternehmen auf Genehmigung von Exporten vor, «die verzögert und/oder verschleppt werden». Exporte seien aber zwingend notwendig, weil die deutsche Rüstungsindustrie von Aufträgen der Bundeswehr allein nicht leben könne.