Mannheimer Morgen, 22.10.99

Das "Jahrhundertspektakel" wird zur Hängepartie

Berufungsgericht in Ankara vertagt Entscheidung über Öcalan-Urteil

Von unserem Korrespondenten Frank Herrmann (Nikosia)

Einst hatten ihn die türkischen Medien zum Jahrhundertspektakel hochgespielt. Aber ob der Prozess gegen den Kurdenführer Abdullah Öcalan noch in diesem Jahrhundert zu Ende geht, ist mehr als fraglich. Wahrscheinlich werden sich Richter, Anwälte und Politiker noch lange mit dem Fall beschäftigen.

Knapp vier Monate nach der Todesstrafe kam das Verfahren gegen Apo, wie Öcalan von Freund und Feind genannt wird, gestern vor ein Berufungsgericht in Ankara. Das Gremium entschied, einen Monat lang nichts zu entscheiden. Erst am 25. November will es verkünden, ob das Urteil in Kraft bleibt oder nicht. In Anwesenheit europäischer Diplomaten nannten die Verteidiger ihre Gründe, warum ihr Mandant nicht gehenkt werden dürfe. Ihr Ziel ist es, den ganzen Prozess noch einmal aufzurollen.

Den Schlüssel dazu sollen die Friedensappelle des PKK-Vorsitzenden liefern. Im August hatte Öcalan den Guerillakrieg für beendet erklärt und seine Rebellen zum Rückzug aus der Türkei aufgerufen. "Er hat seine Hand ausgestreckt", sagte Anwalt Dogan Erbas vor der Presse. "Das Gericht sollte diese Hand ergreifen."

Öcalan dürfe nicht mehr wegen Hochverrats, sondern höchstens noch wegen Bildung einer bewaffneten Bande verurteilt werden. Auf Letzteres steht aber nicht die Todesstrafe, sondern maximal lebenslänglich. Im Übrigen, so die Verteidiger, sei schon die Entführung im Februar aus Kenia rechtswidrig gewesen. Das Verfahren auf der Gefängnisinsel Imrali hätte also gar nicht stattfinden dürfen. Später hätten die Anwälte viel zu selten mit Öcalan sprechen können. Anfangs hätten Wachleute, durch Skimasken getarnt, mit im Raum gesessen. Schließlich sei die Zeit zu knapp gewesen, um eine detaillierte Verteidigungsschrift auszuarbeiten.