nzz, 22.10.99

Berufungsverfahren gegen Öcalan in Ankara

Die Anwälte des PKK-Führers verlangen einen neuen Prozess

In Ankara hat am Donnerstag das Berufungsverfahren gegen den Führer der Kurdischen Arbeiterpartei, Abdullah Öcalan, begonnen, der im Juni in erster Instanz zum Tode verurteilt worden war. In einer von den Verteidigern verlesenen Erklärung verlangte Öcalan einen neuen Prozess. Das Urteil im Berufungsverfahren soll am 25. November verkündet werden.

paz. Istanbul, 21. Oktober

In Ankara hat am Donnerstag das Berufungsverfahren im Prozess gegen den Führer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, begonnen. In einer von seinen Anwälten verlesenen Erklärung verlangte Öcalan, dass sein Fall neu aufgerollt werde. Öcalan argumentierte, dass er seinen bewaffneten Kampf aufgegeben habe und nur noch kulturelle Rechte für die Kurden verlange. Darum solle ihm nun der Prozess wegen Führens einer illegalen Organisation und nicht - wie beim ersten Verfahren - wegen Landesverrats gemacht werden. Die Höchststrafe für den neuen Tatbestand wäre lebenslange Haft und nicht die Todesstrafe, zu der Öcalan im ersten Verfahren im Juni verurteilt worden war.

Unterschlagenes Beweismaterial

Das sechsköpfige Richtergremium hat zu entscheiden, ob der Prozess auf der Gefängnisinsel Imrali formell korrekt durchgeführt wurde. Öcalan selber ist beim Berufungsverfahren nicht anwesend. Einigen Angehörigen von türkischen Soldaten, die im langjährigen Kurdenkonflikt gefallen sind, wurde jedoch der Zutritt gewährt. Die Anwälte Öcalans legten dar, dass das erste Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht Rechtens sei und annulliert werden müsse. So seien Tausende von Seiten von Beweismaterial, das die Verteidigung eingereicht habe, nicht in Betracht gezogen und verschiedene Entlastungszeugen nicht zugelassen worden. Auch hätten die Verteidiger beschränkten Zugang - und nur unter den Augen von maskierten Polizisten - zu ihrem Mandanten gehabt. Nicht zuletzt sei die Verschleppung des Kurdenführers aus Kenya illegal gewesen.

Einfluss auf den Entscheid der EU

Falls das erstinstanzliche Urteil bestätigt wird, müssen das Parlament und der Präsident über die Vollstreckung der Todesstrafe entscheiden. Obwohl die Türkei seit 1984 kein Todesurteil mehr vollstreckt hat, kann nicht vorausgesagt werden, wie der Entscheid im Fall Öcalan ausfallen werde. Der PKK-Führer wird in der Türkei als Personifizierung des Bösen dargestellt, und seine Exekution wird von verschiedenster Seite laut gefordert. Das Urteil dürfte auch einen Einfluss auf den Entscheid haben, ob die Türkei offiziell in den Kreis der EU-Beitritts-Kandidaten aufgenommen werden soll. Diplomaten aus EU-Ländern verfolgten am Donnerstag den Prozess in Ankara. Die Berufungsrichter wollen ihren Entscheid am 25. November bekanntgeben.