yahoo, 22. Oktober 1999, 23:04

Uhr Streit über Panzerexport wird schärfer

von: tin

Berlin, 22. Okt - Der offene Streit zwischen SPD und Grünen über den von der Regierung genehmigten Panzerexport in die Türkei nimmt an Schärfe zu. SPD-Fraktionschef Peter Struck warnte die Grünen am Freitag vor einer Belastung der Koalition. Grünen-Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer hatte zuvor eine Kampagne nach dem Vorbild der CDU-Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft angekündigt. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ließ Kritik am Nein von Außenminister Joschka Fischer (Grüne) zum Panzerexport erkennen. Argumente gegen die Panzerlieferung halte er für "hergeholt". Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) warf Fischer Widersprüchlichkeit vor.

Es habe keinen Sinn, "gegen die eigene Regierung Unterschriften sammeln zu wollen", sagte Struck im ZDF. "Das wäre in der Tat eine Belastung der Koalition, die man tunlichst vermeiden sollte." Er glaube, dass man sich am Montag in der Koalitionsrunde auf ein "vernünftiges Verfahren" verständigen werde. Bütikofer habe "den Mund etwas voll genommen".

Bütikofer hatte zuvor in der "tageszeitung" eine Kampagne gegen die Lieferung von Panzern in die Türkei nach dem Vorbild der CDU-Unterschriftenaktion angekündigt. "Wir werden versuchen, gesellschaftliche Gruppen und Instanzen zu mobilisieren", sagte Bütikofer. Man wolle die öffentliche Meinung für das vereinbarte Ziel von Rot-Grün mobilisieren, bei Rüstungsexporten die Menschenrechtslage in den Empfängerländern zu berücksichtigen: "Die Auseinandersetzung fängt erst an."

Mit seiner Kampagnenankündigung stieß Bütikofer auch in den eigenen Reihen auf Zurückhaltung. Mit der Fraktionsspitze habe er dies nicht abgesprochen, hieß es. In Fraktionskreisen zeigte man sich skeptisch, ob eine Kampagne in der Auseinandersetzung mit der SPD weiterhelfe. In der Sache stimmten Fraktion und Parteispitze aber völlig überein. Panzerlieferungen in die Türkei würden angesichts schwerer Menschenrechtsverletzungen und anders lautender Koalitionsabsprachen einhellig abgelehnt.

Bütikofer zeigte sich bemüht, seine Äußerungen zu relativieren. Der erste Schritt sei jetzt das Gespräch mit dem Koalitionspartner am Montag, erklärte er in einer Pressemitteilung. So lange bleibe "die Frage offen, welche weiteren Schritte wir ergreifen". Entscheidend sei, dass unter den gegebenen Menschenrechtsbedingungen keinesfalls 1000 Panzer in die Türkei geliefert werden dürften.

Kanzler Schröder wies Kritik an dem Beschluss des Bundessicherheitsrates vom Mittwoch, die Lieferung eines Leopard-2-Kampfpanzers zu Erprobungszwecken in die Türkei zu genehmigen, als ungerechtfertigt zurück. Er halte "das, was dagegen spricht, für hergeholt", sagte Schröder dem "Tagesspiegel". Er kritisierte damit indirekt auch Minister Fischer, der gegen die Exportgenehmigung gestimmt hatte.

Schröder sagte, die Türkei habe als Nato-Mitglied bereits den Leopard I erhalten. Mit der Lieferung des Nachfolgemodells Leopard II solle der Türkei eine Perspektive für Europa gegeben werden. Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch warnte im selben Blatt Schröder davor, sich noch einmal über den kleineren Koalitionspartner hinwegzusetzen.

Scharping sagte der "Berliner Morgenpost": "Wir können nicht auf der einen Seite Außenminister Joschka Fischer folgen, der die Türkei in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten aufnehmen möchte, und auf der anderen Seite die Vertragstreue und Bündnisfähigkeit der Türkei in Zweifel ziehen." Er bekräftigte, dass er die Zustimmung des Bundessicherheitsrats zu der Lieferung eines Muster-Panzers für richtig halte.

Entzündet hatte sich der Streit an der Genehmigung des Bundessicherheitsrates für die Lieferung eines Leopard-2-Kampfpanzers in die Türkei. Der Beschluss fiel gegen die Stimmen von Minister Fischer und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Den Ausschlag gab Schröders Stimme. Damit kann sich Krauss-Maffei Wegmann an der Ausschreibung für den Bau von 1000 Kampfpanzern beteiligen. Kritiker befürchten, dass damit trotz gegenteiliger Aussagen der Bundesregierung schon eine Vorentscheidung über das eigentliche Rüstungsgeschäft gefallen ist. Eine Entscheidung darüber steht nach Einschätzung der Bundesregierung frühestens 2001 an.

Nach Informationen der "Berliner Morgenpost" ist der Streit zwischen SPD und Grünen nur die Spitze des Eisbergs. Das Verteidigungsministerium werfe den Grünen und namentlich Fischer vor, Entscheidungen über Exportanträge deutscher Rüstungsfirmen zu verzögern, berichtet die Zeitung in ihrer Samstagausgabe. Mit den anstehenden Entscheidungen seien Exportaufträge für die deutsche Rüstungsindustrie in Höhe von mehreren Milliarden Mark verbunden.