Frankfurter Rundschau, 22.10.1999

"Geschultes Personal wirkt auf die Flüchtlinge ein"

Umstrittenes Projekt soll Asylbewerber in Niedersachsen zwingen, ihre Identität preiszugeben / Menschenrechtler empört

Von Thomas Maron (Hannover)

Seit Montag befinden sich drei abgelehnte Asylbewerber in der Zentralen Aufnahmestelle Braunschweig im Hungerstreik. Sie protestieren gegen die ihrer Ansicht nach unmenschlichen Methoden im Rahmen eines niedersächsischen Modellprojektes. Dessen Ziel ist es laut niedersächsischem Innenministerium, Flüchtlinge "dazu zu bewegen, ihre Identität preiszugeben".

"Modell X" nennen Organisationen wie der Niedersächsische Flüchtlingsrat oder das Antirassistische Bündnis Braunschweig das Projekt. Sie sprechen von "erweitertem Knast" und "nackter Repression". In den Aufnahmestellen Braunschweig und Oldenburg werden seit Frühjahr 1998 neben neu ankommenden Asylsuchenden auch Flüchtlinge untergebracht, deren Asylantrag zwar bereits abgelehnt wurde, die jedoch nicht abgeschoben werden können, weil ihre Identität ungeklärt ist. Ihnen unterstellen die Ausländerbehörden, ihre Herkunft absichtlich zu verschleiern, um einer Abschiebung zu entgehen.

Hans-Hermann Gutzmer, zuständiger Referatsleiter im Innenministerium, macht keinen Hehl daraus, dass das Ziel des Projekts die Durchsetzung der Ausreisepflicht ist. Viele Flüchtlinge wüssten, dass sie trotz abgelehnten Asylantrags ohne Papiere den Aufenthalt in Deutschland erzwingen können. Deshalb würden sie auf unbestimmte Zeit in die Aufnahmestellen gebracht, in denen laut Gutzmer "geschultes Personal auf sie einwirkt, damit sie ihren Widerstand aufgeben und vor der Botschaft ihres Herkunftslandes Erklärungen abgeben und Anträge unterschreiben". Zudem sei es möglich, die ohnehin kargen Zuwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz "auf das Unerlässliche zu reduzieren". Das heißt: Die achtzig Mark Taschengeld können ebenso gestrichen werden wie das Bekleidungsgeld. Was dann bleibt, sind drei Mahlzeiten am Tag und ein Bett.

"Zermürbungstaktik", nennt das Maria Wöste vom Flüchtlingsrat. Es sei außerdem nicht wahr, dass alle dem Projekt zugeführten Flüchtlinge die Preisgabe ihrer Identität verweigerten. Einer der Hungerstreikenden, ein syrischer Kurde, habe bei der zuständigen Botschaft vorgesprochen und um Papiere gebeten. Das jedoch sei abgelehnt worden. Begründung: Er sei Kurde, nicht Syrer. Aus Wöstes Sicht wird versucht, "durch Einschränkung der letzten und elementarsten Rechte etwas zu erzwingen, was nicht zu erzwingen ist".

Timo Luthmann vom Antirassistischen Bündnis Braunschweig betreut die Hungerstreikenden, einen Palästinenser, einen Kurden aus dem Libanon und einen aus Syrien. Es gehe ihnen "mittelmäßig", sagt er. Dennoch würden sie versuchen, ihren Protest weiter durchzustehen.

Der Modellversuch war offensichtlich so erfolgreich, dass er laut Referatsleiter Gutzmer als feste Institution weitergeführt werden soll. Erst im Oktober hatte die Landesregierung Zahlen präsentiert: Bei 137 Flüchtlingen, die von ihren Wohnorten nach Oldenburg und Braunschweig verlegt werden sollten, habe sich bei 88 Flüchtlingen das Problem mittlerweile erledigt. Entweder, es habe ihre Identität festgestellt werden können, oder "sie haben zumindest keine Leistungen beim örtlichen Sozialamt beantragt". Was soviel heißt wie: Sie sind untergetaucht.