Frankfurter Rundschau, 22.10.1999

Der internationale Waffenhandel boomt weiter

Im vergangenen Jahr Rüstungsgüter für 100 Milliarden Mark verkauft / 19 Millionen Kriegstote seit 1945

Der internationale Waffenhandel erlebt nach wie vor einen Boom. Mit 55,8 Milliarden Dollar (100 Milliarden Mark) wurde im vergangenen Jahr von den Staaten der Welt praktisch ebenso viel für Waffen ausgegeben wie 1997 (56 Milliarden).

LONDON, 21. Oktober (dpa/afp). Die meisten Waffen sind 1998 nach Nahost und Nordafrika verkauft worden, gefolgt von China und Südostasien. Dies geht aus dem Jahresbericht des Londoner Instituts für Strategische Studien (IISS) über das militärische Gleichgewicht ("The Military Balance") hervor. In Afrika, wo sich mehr als die Hälfte der bewaffneten Konflikte der Erde abspielen, wurde 1998 fast doppelt so viel Geld für Waffenkäufe ausgegeben wie im Vorjahr.

Seit 1945 sind nach Angaben des renommierten Londoner Instituts bei Kriegen und anderen bewaffneten Konflikten 19 Millionen Menschen getötet worden. In China und Südostasien starben allein 10,4 Millionen Menschen, in Afrika 4,1 Millionen. In Europa wurden seit 1945 rund 186 000 Menschen getötet.

Mit 10,4 Milliarden Dollar (1997: 11,0) war Saudi-Arabien im vergangenen Jahr wieder größter Waffenkäufer der Erde, gefolgt von Taiwan mit 6,3 (6,8) Milliarden Dollar. Auch die Waffenlieferungen an Israel in Höhe von 1,0 (0,83), an Ägypten mit 1,01 (1,1) und die Vereinigten Arabischen Emirate mit 0,93 (0,83) Milliarden Dollar blieben auf hohem Niveau.

Die USA beherrschten den Waffenhandel zu 49 Prozent (26,5 Milliarden Dollar). Frankreich liegt laut IISS mit 9,8 Milliarden Dollar auf Platz zwei der Lieferländer, gefolgt von Großbritannien mit knapp neun Milliarden Dollar. Russland spielt mit 2,8 Milliarden Dollar oder 5,1 Prozent der Lieferungen nur eine untergeordnete Rolle, Deutschland kommt mit 830 Millionen Dollar auf 1,5 Prozent der Rüstungsexporte. Insgesamt lieferten die westeuropäischen Staaten jedoch Waffen für 22,4 Milliarden Dollar (40,2 Prozent der Gesamtlieferungen), etwas mehr als im Vorjahr (39 Prozent).

Im Bericht des IISS heißt es, der Kosovo-Konflikt habe eine Reihe von Schwächen in der Nato aufgezeigt: Vor allem fehle es den europäischen Mitgliedern an genügend Personal und an Transportkapazität, um eine größere Offensive mehrerer Staaten länger durchzuhalten. Falls Europa eine eigene Verteidigungsfähigkeit entwickeln wollte, so müsste es dafür "wesentlich mehr Geld ausgeben". Zwar sei der Rückgang der Verteidigungsausgaben in Europa - seit 1992 minus 22 Prozent - allem Anschein nach gestoppt, doch die europäischen Nato-Länder hätten im vergangenen Jahr mit 171 Milliarden Dollar deutlich weniger als die USA (265 Milliarden Dollar) für das Militär ausgegeben. Pro Kopf investierten die Europäer sogar nur halb so viel wie die USA in ihre Verteidigung.

Die militärische Überlegenheit der USA sei daher während des Kosovo-Krieges deutlich geworden, so das IISS. Die US-Armee und besonders die US-Luftwaffe würden ständig modernisiert. Für das Jahr 2001 seien 62 Milliarden Dollar allein für die Luftwaffe vorgesehen. Besonders die unbemannten Flugzeuge (Drohnen) der Europäer stellten sich in Kosovo nach Angaben des IISS als denen der USA weit unterlegen heraus. Auch bei den Navigationssystemen zeigte sich die US-Luftwaffe überlegen. Aufgrund ihrer besseren Navigationssyteme, die von den Sichtverhältnissen unabhängig seien, hätten die US-Bomber 80 Prozent der Sprengkörper gezielt abwerfen können, wogegen die europäischen Maschinen ihre Aufgaben häufig nicht beenden konnten.

Das schwerwiegendste Defizit stellt nach Auffassung des Instituts die geringe Kapazitäten der europäischen Streitkräfte für Friedenstruppen dar.

In Russland, dessen Verteidigungsausgaben von 64 auf 53,9 Milliarden Dollar gesunken sind, hat das Militär nach Einschätzung des IISS durch den Kosovo-Konflikt wieder an Bedeutung gewonnen. Der Nord-Kaukasus bleibe die größte Herausforderung der Streitkräfte.

Im Nahen Osten und Nordafrika, dem größten Waffenmarkt der Welt, gebe es vor allem in Israel, Jordanien und Marokko Hoffnung auf mehr politische Stabilität. Ein Anstieg der Ölpreise lasse aber vermuten, dass die Verteidigungausgaben nach bisherigen Einschränkungen wieder steigen werden. Auch im zweitgrößten Markt Südostasien sei wegen der wirtschaftlichen Erholung mit steigenden Verteidigungsausgaben zu rechnen.

In Lateinamerika ist dem Bericht zufolge für alle Staaten außer Mexiko und Kolumbien die Gefahr bewaffneter Aufstände verschwunden. Dies habe zu einem Rückgang der Verteidigungsausgaben und der Waffenimporte von 2,0 auf 1,7 Milliarden Dollar in der Region geführt.

Im Kriegs- und Krisenkontinent Afrika hingegen seien die Verteidigungsausgaben auf 9,7 (9,2) Milliarden Dollar gestiegen. Der Anstieg wäre noch wesentlich größer, wenn man den Rückgang der Ausgaben Südafrikas sowie externe Waffenhilfen berücksichtigte. Die Verteidigungsausgaben Afrikas seien zudem auf einen Anteil von 3,8 (3,4) Prozent vom Bruttoinlandsprodukt gestiegen; die Waffenkäufe allein seien um 70 Prozent auf 1,7 Milliarden Dollar hochgeschnellt.