Hannoversche Allgemeine Zeitung 22.10.1999

Wird Fischer wieder grün?

Joschka Fischer erlaubte sich eine kleine Regelverletzung. Entgegen den Gepflogenheiten des geheim tagenden Bundessicherheitsrates hat der grüne Außenminister sein Abstimmungsverhalten öffentlich gemacht. Das ausdrückliche Nein Fischers zur Versendung eines Vorführpanzers in die Türkei wurde in Kreisen der Grünen sogleich taktisch ausgedeutet: als der Versuch einer Wiederannäherung des Ministers an seine eigene Partei.

Wird Fischer wieder grün? Lange genug war der einsame Langstreckenläufer seiner Partei davongeeilt - und hatte dafür Lob und Anerkennung quer durch alle Parteien erworben. Mit verblüffender Selbstverständlichkeit wahrte der grüne Minister Kontinuität in der Außenpolitik.

Nur ausnahmsweise probierte er einmal eine Lockerungsübung im Amt, etwa bei der leicht hingetupften Überlegung, die Nato könne auf das Drohpotential eines atomaren Erstschlages verzichten. Der linke Flügel der Grünen staunte über den Realo, der kühn an militärischen Doktrinen zu rütteln schien. Doch kaum drückte die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright den jungen deutschen Kollegen an sich, ließ sich dieser willig auf den rechten Pfad zurückführen.

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt begann sich Fischer noch deutlicher von den irdischen Nöten seiner in der Regierungskoalition vollkommen überforderten Partei zu lösen und gänzlich in seiner Berufung für die Außenpolitik aufgehen.

Während die Beliebtheitswerte Fischers unter allen Wahlberechtigten unaufhaltsam stiegen, verstärkte sich in seiner Partei die zwiespältige Einstellung zu ihrem obersten "Promi". Im Grunde hat sich bis heute daran kaum etwas geändert, auch wenn der Außenminister in jüngster Zeit wieder verstärkt um das Wohlwollen jener Partei buhlt, ohne die er den Weg in sein Lieblingsamt nie geschafft hätte und die er bisweilen so verächtlich behandelt. Sein persönlicher Erfolg aber wirkt anscheinend auf die Grünen wie ein Fluch.

Fischer stehe so einzig da, schreibt der Journalist Heribert Prantl in einer ersten rot-grünen Bilanz in Buchform, weil er alle anderen Köpfe in der Partei verdrängt habe: eine Art grüner Kohlismus. Nun aber fehle Fischer ein Partner, mit dem er sich intellektuell messen könne.

Seit dem Kosovo-Krieg steht Fischer nur noch neben seiner Partei. Noch 1991 hat Fischer den Satz gesagt: "Ich wünsche mir, dass unsere Partei die Kraft hat, dass dort genügend Pazifisten sitzen, um eine andere, friedensbezogene Außenpolitik ohne Militär machen zu können." Indem er den Grundsatz "Nie wieder Krieg" durch "Nie wieder Auschwitz" ergänzte, schuf er sich die moralische Grundlage, einem Kriegseinsatz ohne UN-Mandat zustimmen zu können. Ausgerechnet der Politiker, der in der Opposition am lautesten gegen die "Militarisierung der Außenpolitik" geteufelt hatte, trieb sie voran.

Unmut erregte Fischer jüngst auch außerhalb der Partei. Ohne die Entscheidung der parlamentarischen Gremien einzuholen, sicherte er den Vereinten Nationen die Entsendung von Sanitätssoldaten für Ost-Timor zu. Der Publizist Peter Scholl-Latour warnte besorgt, Fischer dürfe sich nicht "in humanitären Eskapaden am Ende der Welt verzetteln". Einen solchen Alleingang vorbei an Kabinett und Parlament hätte vor ihm kein deutscher Außenminister gewagt.

Fischer leide seit längerem an "Cäsarismus", klagen selbst alte Weggefährten, seine innerparteilichen Gegner wissen das sowieso. Als sei er eine Art Übervorsitzender der Grünen, spricht er ab und an wie Gottvater über den Wolken zu den Seinen. Enttäuscht muss der Allgewaltige neuerdings feststellen, dass ihm sein Volk auf dem Weg durch die Wüste nicht mehr bedingungslos folgen will.

Als der Außenminister nach der Serie von Niederlagen der Grünen bei den Landtagswahlen aus den Höhen der internationalen Politik herabstieg und ankündigte, er werde sich künftig wieder verstärkt um die Innenpolitik kümmern, ist das in der Parteispitze um die beiden Sprecherinnen Gunda Röstel und Antje Radcke eher als Drohung denn als Versprechen aufgefasst worden. Die Vorschläge für eine Parteireform, die Fischer wie in alten Tagen von Realo-Freunden streuen ließ, ohne die Betroffenen vorher zu informieren, sind inzwischen vom Grünen-Vorstand und vom Länderrat Stück für Stück wieder kassiert oder beträchtlich abgeschwächt worden. Entgegen Fischers Rat wird es weiterhin eine Doppelspitze in der Partei geben, die Unvereinbarkeit von Parteiamt und Mandat oder Regierungsamt soll nur teilweise abgeschafft werden.

Fischer mag sich den Grünen wieder annähern. Die Grünen indes bleiben zu den Ideen ihres Ober-Promis auf Distanz.

Reinhard Urschel, Berlin