Hannoversche Allgemeine Zeitung 22.10.1999

"Probe-Leo" als Frühlingsbote

Auch ein 55 Tonnen schwerer Kampfpanzer kann als feinsinnige diplomatische Geste verstanden werden. Als wichtige Entscheidung zur weiteren Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen wertet die Türkei den Beschluss der Bundesregierung, Ankara einen Leopard-II-Panzer "für Testzwecke" zur Verfügung zu stellen. "Zuerst machte es sich die deutsche Bundesregierung zur Aufgabe, die Türkei an die Europäische Union heranzuführen", lobte die türkische Zeitung "Sabah" am Donnerstag, "und nun hat die Bundesregierung das Waffenembargo durchlöchert und damit in Ankara Frühlingsgefühle geweckt."

Auch andere Zeitungen beschäftigten sich am Donnerstag nach der Entscheidung des Bundessicherheitsrates für die Entsendung eines "Probe-Panzers" mit der Aufhebung des deutschen Embargos. Begonnen habe die Liefersperre 1992, als die Deutschen den Türken unterstellt hätten, Panzer im Kampf gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einzusetzen, rekapitulierte das nationalistische Massenblatt "Hürriyet". Diese Phase sei jetzt überwunden.

Aufmerksam registrieren die Türken aber den Widerstand des grünen Außenministers Joschka Fischer gegen das Panzergeschäft. Der Minister, der sich durchaus den Ruf eines Türkei-Freundes erworben hat, sei wegen des Kurdenproblems gegen das Geschäft, hieß es in "Sabah". Doch er habe sich nicht durchsetzen können: "Die Fischer-Hürde wurde überwunden", berichtete die islamistische Zeitung "Yeni Safak".

Deutsche Waffenlieferungen an die Türkei sind schon lange ein heißes Eisen. Dennoch gibt es seit jeher einen regen Handel. Erst im vergangenen Jahr protestierten die damals noch oppositionellen deutschen Grünen gegen eine Vereinbarung zum Bau von vier U-Booten für die Türkei durch die Howaldtswerke Deutsche Werft (HDW); in diesem Sommer wurde eine deutsch-türkische Vereinbarung über den Bau von sechs Minensuchbooten für Ankaras Marine unterzeichnet.

Der jetzt geplante Kauf von 1000 Panzern ist eines der ehrgeizigsten Projekte der türkischen Armee seit Jahren, denn die Türkei bemüht sich, ihre Streitkräfte grundlegend zu modernisieren. In dem Beschaffungsprogramm mit einem Volumen von umgerechnet mehr als 30 Milliarden Mark sind die mehr als zwölf Milliarden Mark für neue Kampfpanzer der mit Abstand dickste Brocken.

Gegner des Waffenhandels werfen Ankara vor, deutsches Kriegsgerät aus DDR-Beständen gegen kurdische Rebellen und Zivilisten gerichtet zu haben. Zwar werden schwere Kampfpanzer wie der Leopard im Krieg gegen die PKK nicht sehr häufig eingesetzt, doch benutzt die türkische Armee Kampfpanzer hin und wieder bei ihren Operationen gegen die Kurden im Norden Iraks. Die Türkei wird sich jedenfalls weigern, sich bei einem Kauf deutscher Panzer zu verpflichten, sie nicht gegen die PKK einzusetzen - zumal die Kurdenorganisation selbst deutsche Waffen gegen die Türken benutzen soll. So berichtete "Sabah" im Juli, in einem Waffenlager der PKK seien Minen aus deutscher Produktion gefunden worden.

Thomas Seibert, Istanbul