Süddeutsche Zeitung, 22.10.1999

Entspannung in der Waffenlobby

Wahrung der Menschenrechte als Kriterium für Exporte steht bisher nur auf rot-grünem Papier

Von Christoph Schwennicke

Noch vor einem Jahr sah es so aus, als müsste sich die deutsche Rüstungsindustrie auf lausige Zeiten gefasst machen. Am 20. Oktober 1998 setzten die Koalitionäre von Rot und Grün ihre Unterschriften unter einen Vertrag, in dem auf Seite 45 steht: "Der nationale deutsche Rüstungsexport außerhalb der Nato und der EU wird restriktiv gehandhabt. Bei Rüstungsexport-Entscheidungen wird der Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt." Auch in Europa wolle sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass Menschenrechte bei Waffengeschäften berücksichtigt werden.

Derartige Zukunftsaussichten unter rot-grüner Regentschaft trafen die Rüstungsindustrie zu einer Zeit, da sie ohnehin von der Schwindsucht erfasst ist. Der deutsche Rüstungsexport weist nur noch ein Volumen von etwa zwei Milliarden Mark für Waffen auf, neben weiteren etwa fünf Milliarden Mark für sonstige Rüstungsgüter.

Nicht erst seit der Entscheidung, einen deutschen Testpanzer vom Typ Leopard II A5 in die Türkei ausliefern zu lassen, sieht die Industrie die Lage entspannter. Schon während des zurückliegenden Jahres hat es wenig Indizien dafür gegeben, dass sich beim Rüstungsexport Wesentliches ändert. "Ich sehe die Gefahr einer Kontinuität der Rüstungspolitik der alten Bundesregierung ganz deutlich", sagte vor einigen Wochen Angelika Beer, die Verteidigungsexpertin der Grünen. Nun fühlt sie sich durch das Ja zum Testpanzer für die Türkei bestätigt. Und der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Paul Breuer, reibt noch Salz in die Wunde: "Man kann feststellen, dass unsere Politik weiterbetrieben wird. Nur hat das mit den Ankündigungen der rot-grünen Koalition wenig zu tun."

Eine Umfrage der Tageszeitung Die Welt vor einiger Zeit hatte bei fast allen deutschen Waffenherstellern ergeben, dass die neue rot-grüne Regierung ihren Schrecken für diese Branche verloren hat. Der Marketingdirektor der Marinewerft Abeking & Rasmusssen bei Bremen wurde mit den Worten zitiert: "Wir haben so gut wie keine Änderung erlebt." Ein Rüstungslobbyist, der lieber anonym bleiben wollte, freute sich besonders über das flexible Gebaren des Grünen-Außenministers Joschka Fischer. Er wolle aber "Herrn Fischer durch Lob von der Rüstungsindustrie nicht schaden."

Bereits vor der aktuellen Testpanzer-Entscheidung des Bundessicherheitsrates hat die neue Bundesregierung größere Genehmigungsverfahren abgeschlossen, die zu Oppositionszeiten bei RotGrün mit einiger Sicherheit auf Widerstand gestoßen wären. So wurde es der deutschen Werftindustrie gestattet, für mehr als fünf Millarden Mark vier Korvetten und drei U-Boote an Südafrika zu liefern. Für die türkische Marine wurden vier U-Boote genehmigt. Grundlage dieser Entscheidungen ist ein Bonmot des einstigen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, der für Waffengeschäfte mit Ländern wie der Türkei die Devise ausgegeben hatte: "Alles, was schwimmt, geht." Denn U-Boote, so die Logik, lassen sich bauartbedingt schlecht im Bergland gegen Kurden einsetzen.

Anders verhält es sich freilich mit Hubschraubern. Es ist ein Antrag der deutsch-französischen Helikopterfirma "Eurocopter" anhängig, die der Türkei gern ihren neuesten Kampfhubschrauber vorführen würde. Dieser Antrag liegt derzeit auf Eis, um abzuwarten, ob sich das politische Tauwetter zwischen der kurdischen Guerilla-Organisation PKK und der türkischen Regierung positiv auswirkt.

Was sich unter Rot-Grün bei Rüstungsexporten bislang geändert hat, sind bedrucktes Papier und Formalien, die jedoch noch ohne Folgen geblieben sind. So ist die wichtigste institutionelle Änderung, dass das Entwicklungshilfeministerium im Bundessicherheitsrat Sitz und Stimme erhalten hat. Diese Einbindung war seit langem eine Forderung verschiedenster Institutionen. Ihre Erfüllung stimmte die Gegner von Waffenlieferungen auch deshalb zuversichtlich, weil die amtierende Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul als scharfe Kritikerin des Rüstungsexports bekannt ist. Aber auch sie hat nichts an der Entscheidung für den Test-Leopard ändern können. Wieczorek-Zeul wurde im Bundessicherheitsrat genauso überstimmt wie Außenminister Fischer.

Einen Rest Hoffnung knüpfen Kritiker des Waffenexports in labile Regionen an einen Entwurf der politischen Grundsätze für den Export von Rüstungsgütern. Darin werden gegenüber der früheren Fassung von 1982 erstmals auch die Menschenrechte als Kriterium beim Waffenexport erwähnt. Nach derzeitigem Stand soll das Kabinett am 27. Oktober über den Entwurf, der federführend vom Wirtschaftsministerium erarbeitet wurde, entscheiden.