Frankfurter Rundschau 22.10.1999

Öcalan-Urteil in vier Wochen erwartet

Von Gerd Höhler

ATHEN, 21. Oktober. Das Appellationsgericht in Ankara wird in vier Wochen seine Entscheidung über die Bestätigung oder Aufhebung des Todesurteils gegen den PKK-Chef Abdullah Öcalan verkünden. Der Vorsitzende Richter Demirel Tavil vertagte die Verhandlung am Donnerstag auf den 25. November. Bis dahin werde das Gericht sein Urteil fällen, so Tavil.

Der Anfang des Jahres von türkischen Agenten aus Kenia verschleppte Öcalan war Ende Juni von einem Staatssicherheitsgericht wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden. Seine Anwälte beantragten eine Aufhebung des Todesurteils. Öcalan habe sich mit seinen jüngsten Friedensappellen an die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK klar vom Terrorismus distanziert, argumentieren sie. Außerdem bemängeln sie, dass sie mit ihrem Mandanten stets nur in Anwesenheit maskierter Beamter sprechen durften.

Öcalan, als einziger auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert, nahm an dem Berufungsverfahren nicht teil. Die Anwälte verlasen vor Gericht eine Erklärung des PKK-Chefs. Darin bat Öcalan die Richter, in Betracht zu ziehen, dass die PKK auf seine Initiative der Gewalt abgeschworen habe und sich um eine friedliche Lösung der Kurdenfrage bemühe. Öcalan appellierte an die türkischen Politiker, den rund zwölf Millionen Kurden "kulturelle Rechte" zu gewähren. Dazu bedürfe es weder eines eigenen Kurdenstaates noch einer Autonomie, schrieb er.

Beobachtet wurde die kurze Verhandlung am Donnerstag von zahlreichen Diplomaten aus EU-Staaten. Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten etwa 200 Hinterbliebene von im Kurdenkrieg gefallenen Soldaten mit Sprechchören wie "Öcalan muss sterben!" und "Hängt ihn endlich auf!". Sollte das Todesurteil in der Revisionsinstanz bestätigt werden, wovon die meisten Beobachter ausgehen, müsste das türkische Parlament über seine Vollstreckung entscheiden. Anhängig ist allerdings auch noch eine Beschwerde der Anwälte Öcalans vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.