Berliner Zeitung, 21.10.99

Kommentar: Die Türkei ist kein guter Kunde

von Dieter Schröder

Einen guten Kunden verliert man ungern. Dies wird sich auch der Bundessicherheitsrat gesagt haben, als er sich gestern mehrheitlich für die Lieferung eines Vorführpanzers vom Typ Leopard II A5 an die Türkei entschied. Wenn den Türken das Fahrzeug gefällt, winkt immerhin ein Auftrag über 1 000 Stück. Die Wahrscheinlichkeit ist bei der Vorliebe der Türken für Waffen und fahrbares Gerät aus Deutschland erheblich. Deshalb ist auch das Argument des Bundessicherheitsrates, über den Großauftrag sei noch nicht entschieden, wenig überzeugend. Der Hauptgrund, der für die Überlassung eines Testpanzers gesprochen hat, gilt dann erst recht, und zwar mit tausendfachem Gewicht.

Nach den USA ist die Bundesrepublik der zweitgrößte Waffenlieferant der Welt. Die Rüstungsindustrie ist ein bedeutender Arbeitgeber. An jedem großen Auftrag hängen viele Arbeitsplätze. Die Drohung mit Entlassungen verleiht den Waffenschmieden ein beträchtliches Erpressungspotenzial gegenüber den Politikern. Wenn Panzer nicht so rollen, kann man auch mit Schmiermitteln nachhelfen, ein Material, auf dem jetzt einige Politiker in Bayern noch nachträglich auszurutschen drohen. Dabei ging es um Schützenpanzer für Saudi-Arabien. Die Hilfsaktion war notwendig geworden, weil sich Anfang 1982 der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt grundsätzlich gegen die Lieferung von Leopard-Panzern an Saudi-Arabien ausgesprochen hatte, ein Verbot, das Kohl später aufrechterhielt. Vielleicht sollte sich Gerhard Schröder ein Vorbild an der bewunderten Vaterfigur Schmidt nehmen. Schmidt hatte sich die Sache wegen der Lockung des großen Geschäfts mit den Saudis nicht leicht gemacht. Er ließ sogar die Richtlinien für Waffenexporte umschreiben. Aber wie man diese auch drehte und wendete, es führte kein Weg an der Bestimmung vorbei, dass die Bundesrepublik keine Waffen in Spannungsgebiete liefern dürfe.

Schon damals war klar, dass sich Industrie und Regierung nicht vom Erhalt von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie abhängig machen sollten. Das Gegenteil geschah. Die wachsende Nachfrage nach Waffensystemen mit dem Gütesiegel Made in Germany drängte alle löblichen Einsichten beiseite, zumal da die erfolgreiche Produktpalette nur schwer durch zivile Innovationen zu ersetzen war.

Die Türkei war in diesem Geschäft immer ein Sonderfall. Für die Nato stand sie auf Wacht am Bosporus gegenüber den Sowjets. Seitdem es diesen Feind nicht mehr gibt, ist sie in den Augen der Amerikaner ein Vorposten gegen den muslimischen Fundamentalismus. Washington drängt deshalb auch auf eine bevorzugte Behandlung Ankaras als Anwärter auf eine EU-Mitgliedschaft. Davon sollte sich deutsche Politik aber nicht beeindrucken lassen. Wenn der Fundamentalismus eine Gefahr ist, droht er der Türkei von innen. Auch wenn die Waffenexportrichtlinien für den Fall Türkei nicht zwingend sind, gibt es viele Gründe gegen eine Fortsetzung der Waffenlieferungen an die Türkei.

Es kann keinen Zweifel mehr daran geben, dass die Türkei auch deutsche Waffen innerstaatlich im Kampf gegen die für ihre Autonomie kämpfenden Kurden einsetzt. Eine Bundesregierung, die sich im Kosovo gegen die Unterdrückung einer Minderheit mit Waffengewalt einsetzt und in Ost-Timor die Politik der Uno unterstützt, beide Male im Namen der Menschenrechte, darf die Türkei nicht mit Waffen versorgen. Sie würde damit die Verletzung der Menschenrechte durch Ankara fördern. Außenminister Fischer musste deshalb im Bundessicherheitsrat eine abweichende Nein-Stimme abgeben.

Die friedliche Lösung des Kurdenproblems liegt auch im innenpolitischen Interesse Deutschlands. Waffenlieferungen würden die Integration der Kurden hier erschweren, die ohnehin noch einmal auf die Probe gestellt werden könnte, wenn das Todesurteil an PKK-Führer Öcalan vollstreckt werden sollte. Wenn sich die Türkei für die EU-Mitgliedschaft qualifizieren will, muss sie die Todesstrafe abschaffen, die es in der EU nicht mehr gibt. Und wie das Waffengeschäft die Annäherung der Türkei an die EU befördern soll, bleibt das Geheimnis des außenpolitischen Sprechers der CDU, Lamers, der es mit diesem Argument befürwortet. Für den Einmarsch in die EU braucht Ankara keine deutschen Panzer. Sie wären eher hinderlich.

Für den Einmarsch in die EU braucht Ankara keine deutschen Panzer. Sie wären eher hinderlich.